Radio läuft bei mir nur morgens beim Duschen und da versuche ich das Ganze so zu timen, dass ich die Lokalnachrichten mitbekomme. Gelegentlich hab ich auf dem PC noch das Campusradio laufen, allerdings weniger wegen der journalistischen Gehversuche der studentischen Moderatoren, sondern eher wegen der sehr durchwachsenen Playlist und aus Mitleid
Aber Tieferes zum Thema:
Einige hier haben sich ja bereits ausgelassen über Kommerzialisierung des Radios und die erbärmliche Qualität der dort dargebotenen Musik. Das Radio als Medium hatte in seinen Anfangszeiten übrigens einen enormen Impact auf das soziale Leben und war nicht zuletzt ein sehr interessantes Gebiet für die Sozialforschung. So hat beispielsweise der Soziologe
Paul Lazarsfeld zwischen 1948 und 1949 eine Studie durchgeführt, bei der das Hörverhalten von 2650 US-amerikanischen Frauen erfragt wurde. Ein interessantes Ergebnis dabei war, dass einige der Befragten angaben, dem Radioprogramm nicht folgen zu können, wenn sie nebenbei etwas anderen täten. Lazarsfeld und Forscherteam interpretierten dieses Phänomen als sogenannte "one-track-mindedness" und verorteten es (unter Vorbehalt) in der Psyche der Frau, die unter gewissen psychologischen Umständen nicht im Stände sei, mehrere Dinge gleichzeitig durchführen zu können. Ferner waren Radioempfänger damals noch eine Besonderheit in den Haushalten und standen üblicherweise im Wohnzimmer. Radio zu hören war also ausschließlich in diesem Raum möglich.
Lazarsfeld hat mit der Gründung Bureau of Applied Social Research zugleich einen Weg für die Wirtschaftsforschung geebnet. Denn die oben genannte Studie entstand im Auftrag von der National Broadcasting Company im Sinne einer Zielgruppenforschung. Wofür? Um herauszufinden, welche weiblichen Personengruppen sich zusammenfassen lassen, welche Hörgewohnheiten sie haben und inwiefern sich das Radioprogramm (inklusive Werbespots) daraufhin anpassen lässt. Zielgruppenforschung ist heute natürlich ein weitaus größerer Zweig der vor allem von wirtschaftlichen Interessen geleitet wird. Radio wird nicht einfach nach Lust und Laune produziert (interessant wäre die Frage, inwiefern "autonome" Webradios den wirtschaftlichen Druckmitteln unterliegen, die entstehen, wenn die Hörerschaft gezielt vergrößert werden soll), sondern ist exakt durchorganisiert und geplant. Eine Tendenz, die schon in den 40ern von jemandem herausgearbeitet wurde, was im folgenden Absatz kurz zusammengefasst wird.
Nicht besonders angetan von Lazarsfelds Forschungszwecken war ein ehemaliger Schüler von selbigem -
Theodor W. Adorno. Im amerikanischen Weltkriegs-Exil widmete er sich der soziologischen Theorie und entwarf in Zusammenarbeit mit weiteren Wissenschaftlern die
kritische Theorie und als Teil dieser insbesondere die Theorie der
Kulturindustrie. Adorno zu Folge sei es nicht Aufgabe der Wissenschaft, ökonomischen Interessen zu dienen, sondern die manipulative Wirkung von Medien (TV und Radio) aufzudecken und letztendlich aufzuzeigen, welchen Anteil die Medien an der vermeintlichen Tatsache haben, dass die Welt nicht so ist, wie sie sein könnte (wobei die Utopie unbestimmt bleiben soll). Adorno argumentiert vor allem auf Basis des Marxismus und der hegelschen Dialektik, liefert aber keine empirischen Daten sondern nur Theorie. Populäre Musik (darunter fasst Adorno seiner Zeit eigentlich alles, außer Zwölftonmusik), die auch im Radio gespielt wird, ist nach Adorno jedenfalls keine Kunst mehr. Sie wird des Tauschwertes wegen produziert, nicht als Selbstzweck. Zusammen mit der Filmindustrie dem Zweck des Amusements dienend, lullt sie ihrer Anspruchslosigkeit schuldend die Konsumenten ein und verhindert, dass sie die gesellschaftlichen Umstände reflektieren, die es überhaupt erst nötig machen, dass der Mensch sich nach der Arbeit entspannen muss, nur um dadurch wieder Kraft für weitere Arbeit (unter eigentlich dringlichst abzuschaffenden Herrschaftsbedingungen) zu schöpfen. Kultur unterm Spätkapitalismus sei letztlich nicht ausreichend kritisch und vor allem an Gewinnmaximierung und Quoten interessiert. Kulturindustrie ist nahezu allumfassend und unausweichlich, wenn Kultur konsumiert und produziert wird. Sehr bemerkenswert ist, dass Adorno und sein Kollege Max Horkheimer in der "Dialektik der Aufklärung" (1947) auch vermerken:
"Mit Grund heftet sich das Interesse ungezählter Konsumenten an die Technik, nicht an die starr repetierten, ausgehöhlten und halb schon preisgegebenen Inhalte. Die gesellschaftliche Macht, welche die Zuschauer anbeten, bezeugt sich wirksamer in der von Technik erzwungenen Allgegenwart des Stereotypen in den abgestandenen Ideologien, für welche die ephemeren Inhalte einstehen müssen".
Bedenkt man heute unser Interesse an leistungsstarken Fernsehern und Soundanlagen, das möglicherweise weit größer ist als das Interesse an bzw. die kritische Rezeption von Medieninhalten, haben die Autoren hier vermeintlich eine sich heute dem Gipfel nähernde gesellschaftliche Entwicklung des Medienkonsums und -gebrauchs vorgegriffen.
Aus Sicht der Soziologie stellt sich immer erst die Frage, aus welcher Perspektive man sich einem Forschungsgegenstand oder -feld nähern will. Das Radio kann diesbezüglich im Hinblick auf zahlreiche Aspekte betrachtet werden und die von mir angeschnittenen Vorgehensweisen sind nur ein kleiner Teil der bisherigen Forschungsbemühungen.