Re: Coronavirus
@der: Klar gibt es Unempfindlichkeit ohne Antikörper, allerdings nicht als Folge einer durchgemachten CoViD-19-Erkrankung. Menschen mit Sichelzellanämie zum Beispiel sind gegenüber Plasmodien (Malaria) resistent (nicht immun - das Immunsystems spielt hier keine Rolle!); Menschen, die nur ein Sichelzell-Allel haben, sind zwar nicht anämisch, aber trotzdem noch mit hoher Resistenz ausgestattet.
Bei SARS-CoV-2 können Mutationen am ACE2 zu einer verminderten Paarungsfähigkeit mit dem S-Protein führen, was damit wieder eine Resistenz wäre (und da gibt es auch Studien dazu).
Außerdem, und darauf könntest du versuchen anzuspielen, kann es durch die chaotische Entwicklung von Antikörpern passieren, dass eine Exposition mit anderen Coronaviren in manchen Individuen Antikörper gebildet hat, welche auf wenig prominente Bindungsstellen ansprechen, die SARS-CoV-2 mit ebenjenen anderen Coronaviren gemeinsam hat (oder zumindest ähnlich - auch die Erkennung ist ja eher chaotisch). Das ist aber eher selten (und es sind dann trotzdem Antikörper und Gedächtniszellen aus der B- und T-Schiene).
Ja, Chemie ist chaotisch. Biochemie erst recht.
ACHTUNG: Resistenz bedeutet nicht zwangsläufig 100% Sicherheit. Resistenzen sind meist versteckte Toleranzen, d. h. selbst eine höhere Virenlast führt noch nicht zur bedrohlichen Erkrankung, weil sich die Viren aufgrund der Umstände schwerer tun, sich zu vermehren und damit dem Immunsystem mehr Zeit gegeben wird. "Schwerer" kann hier eine sehr große Bandbreite haben, bis hin zur 100%igen Resistenz.
--- [2020-10-01 17:51 CEST] Automatisch zusammengeführter Beitrag ---
Mir ist unter der Dusche grad gekommen, was da vermutlich das Hauptverständigungsproblem darstellt zwischen wissenschaftlichen Studien und eurem Verständnis von Immunität und Resistenz.
Ihr alle habt in der Schule beigebracht bekommen, dass Moleküle so aussehen:
und habt vermutlich zum Großteil vom Schlüssel-Schloss-Prinzip bei Enzymen gehört.
Und das ist alles nicht... korrekt. Nur so ungefähr. Näherungsweise. Grob betrachtet. Um nicht zu sagen: Alles Märchen.
Alkohol sieht nicht so aus. Nicht wirklich. Jedes dieser Stäbchen ist frei drehbar, so geht der Spaß schon mal los. Wer mit einem Molekülbaukasten gespielt hat, weiß, wie bescheuert das oft ist, gerade wenn es mehr als 10 Kugeln werden sollen. Dazu kommt, dass diese Verbindungen nicht starr sind. Wasser hat nicht einen Winkel von 104,45° zwischen den Wasserstoffatomen. Nicht mal häufig. Eigentlich nur, wenn ein Molekül ganz allein ist, am absoluten Nullpunkt. Ansonsten ist es mehr so ein Wabern um diesen Winkel herum. Und die Länge der Stäbchen ist auch nicht statisch. Die verlängern und verkürzen sich auch fröhlich, und das die ganze Zeit. Nicht viel, aber etwas. Was ich damit sagen will - allein ein Wassermolekül ist weniger ein starres Konstrukt als mehr ein aus Kugelschreiberfedern, Drehtellern und Kastanien zusammengeschustertes DING.
Das wird viel schlimmer, wenn die Moleküle groß werden. Und bei Biomolekülen reden wir von GROSS. Zum Vergleich: Die Humane Carboanhydrase II, ein Enzym, das nur Wasser und CO2 in Kohlensäure umwandelt und wieder zurück (je nach zur Verfügung stehendem Material und Umgebungsvariablen mal mehr in die eine oder mehr in die andere Richtung), ist irgendwas um die 260 Aminosäuren groß. Jede Aminosäure hat so im Schnitt zwischen 10 und 20 Atome. Wir reden also von ca. 4000 Atomen/Verbindungen, die zumeist alle im Raum rumrotieren, sich biegen und dehnen/stauchen können. Das Ding ist also ungefähr so stabil wie ein verzwirltes Gummiseil. Und es ist - im biochemischen Maßstab - klein.
So, und das wars noch nicht. Jetzt kommen zwischenmolekulare Kräfte dazu. Manche Teile eines Moleküls sind zum Beispiel stark wasserstoffhaltig, und zwischen Wasserstoffatomen und anderen Atomen (meist die auf der rechten PSE-Seite) gibt es mäßig starke Wechselwirkungen (Wasserstoffbrücken). Zwischen allen Atomen gibt es dazu sog. van-der-Waals-Kräfte, die im Hauptteil von temporären Verschiebungen der Elektronen eines Atoms auf eine Seite herrühren. Und dann gibt es auch noch permanente Teilladungen in Molekülen (zum Beispiel bei Wasser), sog. Dipole. Ach, und nicht zu vergessen: Ganze Ladungen gibts natürlich auch, wo wir bei Ionen wären, die wiederum stabil an einer Stelle (z. B. bei Hydroxid-Ionen), an einem Molekülteil (die dissoziierte Säuregruppe einer Carbonsäure zum Beispiel) oder über große Teile des Moleküls stabilisiert sein können (zum Beispiel im Ring beim dissoziierten Phenol). Und gegensätzliche Ladungen ziehen sich natürlich an, während gleiche sich abstoßen.
Insofern ist das gezwirbelte Gummiseil, von dem wir es vorher hatten, in Wirklichkeit gespickt mit Magneten, 3 verschiedenen Klebstoffen, die sich gegenseitig entweder gut oder gar nicht binden und - weil ja kein Molekül allein auf dieser Welt ist - von 3000 Kindern gleichzeitig gezogen, zusammengeknüllt und verknotet. Natürlich gibt es da eine oder sogar viele stabile Konformationen (also Strukturen, in die es sich gern zurückzieht), aber im Prinzip ist das schon eher das, womit wir es hier zu tun haben.
Und insofern haben wir nicht ein Schlüssel-Schloss-Prinzip bei Enzymen (oder Antikörpern), sondern vielmehr ein "zwei klebrige, aus weichem Silikon modellierte Dinge mit viel Eigenleben versuchen, sich irgendwie auf eine Verbindung zu einigen". Deshalb ist auch zum Beispiel die Carboanhydrase von oben relativ gut zu überreden, nicht nur Wasser und CO2 zu akzeptieren, sondern zum Beispiel auch Wasser und SO2, und daraus schweflige Säure zu machen. Und deshalb kriegt ihr nach dem Saufen von schlechtem Alkohol auch alle einen üblen Kater, weil die Alkoholdehydrogenase zwar gerne Ethanol zu Ethanal umwandelt (was dann selbst wieder von der Aldehyddehydrogenase zu Essig verarbeitet wird), aber halt auch (weniger effektiv) Methanol in Formaldehyd, und das ist ja bekanntlich ziemlich giftig.
Macht man sich dann auch noch klar, dass alle diese Moleküle in einer Umgebung liegen, die - wenn man das mal zeitlich dehnt und räumlich betrachtet - sich etwa so verhält, als würde unser vorhin beschriebenes Silikon-Ding mit viel Mühe langsam durch zähen Honig mit vielen verschiedenen Kleingemüseanteilen (Silberzwiebeln, Radieschen, Gürkchen, Senf- & Pfefferkörner, ..., die aber natürlich auch klebrig, magnetisch und teilweise bindungsfreudig sind) wabern, und dort versuchen, sich mit anderen Gummiteilen zu paaren - oder halt auch nicht - dann wird die Sache langsam realistisch. Und es stellt sich die Erkenntnis ein, dass der ganze Körper, jedes einzelne Molekül, in genau so einer Suppe entstanden ist, mit vielen Fehlschlägen, und die Natur das Beste geleistet hat, um trotzdem irgendwie was auf die Kette zu kriegen.
Wer mit diesem Bild vor Augen die komplette Biochemie betrachtet, inklusive der Erstellung von Antikörpern, Immunreaktion generell und auch von Virus-Wirt-Interaktionen, dem wird das eigentliche Ausmaß und die Komplexität dieser Strukturen und Interaktionen langsam klar. Und der versteht auch, warum ich an dieser Stelle selten mit meinen Aussagen als absolut verstanden werden will, weil es IMMER irgendein Arschloch gibt, das aus der Reihe tanzt und mit erhobenem Mittelfinger in die Suppe hüpft, um dann mit Gürkchen und Lorbeeren ne fette Party zu schmeißen.
