Ich finde die Diskussion witzig. Sie ist in gefühlt 30 Threads immer dieselbe, und immer genauso dämlich geführt:
Person A: Einsteiger sollen Arch verwenden, weil dann lernen sies
Person B: Einsteiger sollen mit Einsteigerdistro anfangen und dann auf Gentoo/Arch
Person C: Einsteiger nur Einsteigerdistro...
Person A: Aber dann lernen sies nicht...
Man hat mir mal gesagt, dass je mehr man sich mit einem Thema auseinander setzt, desto mehr merkt man, wie wenig man eigentlich davon versteht. So, wie es mir langsam vorkommt, hat die Hälfte der Personen in diesen Threads keine Ahnung, wie man überhaupt eine CD einlegt (dass das jetzt sarkastisch übertrieben war, sollte klar sein).
Ist euch eigentlich klar, was ein Einsteiger ist? Vielleicht habt ihr das langsam vergessen, wie es bei euch war, oder vielleicht war es damals (TM) eine Mischung aus zu viel Zeit, zu wenig Sex und zu beschissenem Wetter, die euch nächtelang Handbücher lesen ließ. Gerade wenns zum Argument "man lernt es (whatever that is) mit einer Einsteigerdistribution nicht" kommt, fühle ich mich an die Quantentheorie erinnert - wer sagt, er hat sie verstanden, hat sie definitiv nicht verstanden. Was lerne ich denn mit Debian/Ubuntu/RedHat/Suse nicht? Und brauche ich das, was ich nicht lerne, überhaupt jemals? Natürlich ist es toll, wenn ich die Zylinderkopfdichtung meines Audi A8 selbst polymerisieren kann, aber wozu dieser Aufwand? Vor Allem: Wozu dieser Aufwand, zum Meister der Zylinderkopfdichtung zu werden, und hinterher zu blöd für nen Ölwechsel zu sein?
Ich hab mittlerweile mehrere Jobs gehabt, und immer, wenn mir Leute gesagt haben, ich müsse wissen, wie das genau geht, fand ich hinterher raus, dass diese Leute Fachidioten sind. Sie kennen jede Schraube im Motor eines Golf 4, aber wehe der FI der Haussicherung ist geflogen - das muss dann der Elektriker machen.
Die meisten Einsteiger sind keine Leute mit zu viel Zeit und zu wenig Hobbys. Sie sind entweder frustriert von Windows oder wollen einfach mal was anderes ausprobieren. Schnuppern, keinen Doktor drin machen. Und dazu gehören Erfolgserlebnisse, weil das Psychologie ist. Wer spielt, will Erfolge sehen, erst leichte Erfolge, dann schwerer erarbeitete. Zu dem Zeitpunkt, an dem sie durch eine Einsteigerdistro gelangweilt sind, sind zwei weitere Dinge eingetreten:
- Die Suche nach einem neuen Spielzeug wurde gestartet (das wird dann schon Gentoo/Arch werden, keine Sorge!)
- Linux ist das einzige, alles ausfüllende Hobby und wahrscheinlich ein großer Teil des beruflichen Alltags (wenn vorhanden).
Sein wir mal ehrlich: Über 95% der Linux-Nutzer, ob aktuell oder zukünftig, werden es nie schaffen, ein Debian (das durchaus als Einsteigerdistro zählen kann und extrem konservativ ist) vollständig zu durchblicken. Ich bezweifle ernsthaft, dass auch nur ein Einziger in diesem Thread das von sich behaupten kann. Einem Einsteiger ein Arch hinzustellen ist wie einem 5jährigen den größten Lego-Technik-Bausatz hinzustellen, den man für Geld kaufen kann. Natürlich wird es unter tausend 5jährigen ein paar geben, die sich da durchbeißen; und die werden wahrscheinlich bis zum 30sten Lebensjahr damit spielen. Der Großteil wird das aber nie wieder anfassen, weil die Frustration zu groß wird. Einfache Psychologie.
Und jetzt die Frage: Was wollt ihr eigentlich? Viele Linux-User und damit ne Menge Content, oder wenige Linux-Nerds und tausende sterbende Pakete, weil auch deren Tag nur 24 Stunden hat? Masse oder Klasse. Zumal ich sowieso der Ansicht bin, dass mit steigender Masse automatisch die Elite größer wird.
Um das Ganze zum Ende zu bringen:
Arch/Gentoo nützen einem Anfänger nichts. Es sind Distros, die man fürs Aussieben von Fachkräften hernehmen kann. Natürlich kann man sie wunderbar konfigurieren, und natürlich ist alles deine Entscheidung - aber um eine Entscheidung zu fällen, muss man die Alternativen kennen, sonst ist es nämlich ein Würfelspiel und keine Entscheidung. Wer will, kann ja gerne, aber eine EMPFEHLUNG richtet sich nach den Bedürfnissen des Anfragestellers, nicht nach den Euren. Was glaubt ihr denn, warum man euch in der ersten Englischstunde nicht Shakespeare und nen Langenscheidt vorgesetzt hat?
Bist du Anfänger, nimm eine Distro, die dir alles erstmal abnimmt. (Mint zum Beispiel - auch wenn ich es aufgrund damals auftretender schwerer Installationsprobleme nicht empfehlen kann.) Oder Debian. Oder wegen mir (Open-)Suse, Ubuntu, whatever. Irgendwas, das dir schnell das Gefühl gibt, etwas Frisches, Neues erreicht zu haben. Gefällt dir dann dein Hintergrundbild nicht, google, wie man das ändert. Und schon wirst du rausfinden, dass es verschiedene Desktop Environments gibt. Wenn das dein Interesse weckt, wirst du dir davon Bilder ansehen, dir eventuell eine zweite oder dritte parallel installieren, was dir schon zeigt, wie die Paketverwaltung deiner Distro funktioniert. Spätestens, wenn du zum Erreichen deiner selbstgesteckten Ziele alternative Sources einbinden musst, wirst du dich damit beschäftigen. Und irgendwann, wenn du dein System völlig zugemüllt und verändert hast, weißt du, was du verwenden willst und setzt es neu auf - um mit weniger Ballast weiter vorzustoßen.
Selbstgesteckte Ziele, das ist so ein Motivator. Ich habe ein funktionierendes System - etwas, worüber ich mich freue - aber setze mir was Wahnwitziges in den Kopf und wurstel mich rein. Wenn das erste selbstgesteckte Ziel ein funktionierendes System ist, woher die Motivation nehmen? Das erste System muss der Köder sein, das Zuckerstückchen. Nicht die Peitsche.
Mal nur so interessehalber: Wie viele von euch sind eigentlich Ausbilder/Lehrer oder anderweitig pädagogisch erfahren?