BRD aus Gewohnheit
Immer mal wieder höre oder lese ich Kommentare in denen die Existenz unseres Staates angezweifelt wird. Dieser Zweifel äußert sich in den verschiedensten Formen, mal wird die Bundesrepublik als Besatzungskonstrukt bezeichnet, dann wieder dem Grundgesetz abgesprochen eine Verfassung zu sein. Ich habe mich im Laufe der Jahre mit dieser Thematik beschäftigt und möchte die typischen Argumente hier zusammenfassen und entkräften.
1. Das Grundgesetz
Ein häufiger Trugschluss ist eine Verfassung müsse auch "Verfassung" heißen. Es gibt keinen abstrakten Musterstaat nach dessen Vorbild sich alle ordentlichen Staaten zu organisieren haben in dem bis zur Namenswahl die Details des Staatsstruktur vorgegeben werden. Im deutschsprachigen Raum steht das Wort Verfassung für das zentrale Rechtsdokument eines Staates und die meisten Staaten nennen ihr jeweiliges Dokument tatsächlich Verfassung. Auch das Grundgesetz nutzt den Begriff in der Präambel:
"Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben." - Grundgesetz
Zwar ist es absolut richtig, dass unsere Verfassung Grundgesetz heißt, da es ursprünglich nicht als Verfassung gedacht war. In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts schien es angemessen keinen neuen deutschen Staat im Westen zu errichten. So bezeichnete zum Beispiel Carlo Schmid die BRD am 8.9.1948 als Provisorium. Warum aber war das damals so wichtig? 1948 wollte man eigentlich vermeiden eine dauerhafte Trennung, eine zwei Staaten Lösung, zu bekommen. Man hoffte auf die baldige Wiedervereinigung, darauf einen Staat im gesamten Gebiet Deutschlands zu errichten.
Das hat sich in den Jahrzehnten seitdem jedoch geändert. Es wurde immer klarer, dass es auf dem Gebiet des Reiches zwei Staaten gab, oder von mir aus "Konstrukte, die sämtliche Funktionen eines Staates übernehmen, für alle Beteiligten wie Staaten aussehen und als solche behandelt werden". Die Idee einer schnellen Wiedervereinigung rückte immer weiter hinter die Erkenntnis, dass wir das Schlachtfeld eines drohenden dritten Weltkrieges sein könnten. Immer mal wieder haben beide deutschen Staaten behauptet Staaten zu sein, identisch mit dem Reich zu sein (mit der Ausnahme, dass ihnen die Gebiete des jeweils anderen nicht gehören) oder dem anderen oder sogar sich selbst die Staatlichkeit abgesprochen. Je nachdem was politisch gerade sinnvoll erschien. Daher lassen sich dazu eine Menge widersprüchlicher historischer Aussagen finden. Selbst heute noch meint mancher Politiker, meist aus den kleinen Parteien, den Flügeln und hinteren Bänken und besonders aus dem Kreis der Lobbyisten der Vertriebenverbände diese Thematik instrumentalisieren zu können.
Heute ist das ohne Konsequenz, aber zur Wiedervereinigung stiegen Leute wie Carlo Schmidt, die einst darauf bestanden haben sich als Besatzungskonstrukt zu verstehen, aus ihren Gräbern und bissen der Politik kräftig in den Hintern. Widersprüchliche Behauptungen und Formulierungen kamen in großer Zahl zu Tage und so mancher Rechtswissenschaftler zweifelte an seinem Verstand. Die Wiedervereinigung wurde dann nach dem Prinzip "Augen zu und durch" durchgeführt und es hat offensichtlich funktioniert. Wir leben in einer Bürocrazy, Widersprüche sind vorprogrammiert, wenn die über Jahrzehnte gesammelten Dokumente nicht mehr Ordner oder Regale sondern ganze Archive füllen.
Liest man die Urteile des Bundesverfassungsgerichts nach 1990 sieht es ganz anders aus:
"Das Grundgesetz setzt damit die souveräne Staatlichkeit Deutschlands nicht nur voraus, sondern garantiert sie auch." - 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009
2. Die Volksversammlung
Im Grundgesetz Artikel 146 steht, es verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Man muss diesen Artikel jedoch im historischen Kontext sehen. Gedacht war er als eine der zwei Möglichkeiten einen Nachfolgestaat nach der Wiedervereinigung zu erstellen. Die andere war der damalige Artikel 23, der Beitritt der Länder. Zur Wiedervereinigung gab es eine große Diskussion welchen der beiden Wege man gehen soll und man wählte den Artikel 23. Die neuen Bundesländer traten der Bundesrepublik Deutschland bei.
Seitdem ist aus dem Artikel eine 'Ablöseklausel' geworden, das Grundgesetz erklärt sich selbst für ungültig, sollte eine neue Verfassung erstellt werden. Das vermeidet juristische Quälereien in einem solchen Fall, weil Leute behaupten könnten die alte Verfassung wäre noch gültig. Kaum eine andere Verfassung der Welt enthält einen solchen Artikel, aber wir Deutschen sind für Bürokratie und Formalismus bekannt und dieser Text würde nicht existieren, gäbe es nicht Leute, die eine Exilregierung des Reiches gegründet haben. Vielleicht brauchen wir so eine Regelung wirklich. Wahrscheinlicher ist aber, dass es schlicht ein historisches Artefakt ist, welches keinen Schaden verursacht und dessen Abschaffung, aufgrund des eigentlich sinnvoll klingenden Inhalts, einen Sturm der Entrüstung auslösen würde.
Gerne wird heute dieser Artikel in Verbindung mit den Worten "hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt" zusammen genutzt, um zu behaupten es sei eine Volksabstimmung notwendig, um einen echten Staat zu erschaffen. Nur so am Rande: die wenigsten Verfassungen wurden über Volksabstimmungen eingeführt, der Weg einer Verfassunggebende Versammlung ist die Norm. Die amerikanische Verfassung beginnt mit "We the people" und wurde von 55 Leuten geschrieben. Wäre aber im Falle Deutschlands eine Volksabstimmung notwendig? Ein Herr C. Versuchte diese beim Bundesverfassungsgericht einzuklagen:
"Der Beschwerdeführer könnte allenfalls dann ein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 146 GG auf Herbeiführung einer Volksabstimmung über die Verfassung haben, wenn aus Art. 146 GG die Pflicht staatlicher Stellen zur Durchführung einer Volksabstimmung folgte. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte dieses Grundgesetzartikels ergibt sich dafür ein Anhaltspunkt." - 2 BvR 2091/99 vom 31.3.2000
Jemand anders versuchte das Kraftfahrzeugsteuergesetz vor dem Bundesfinanzhof anzufechten, unter anderem weil Deutschland keine Verfassung haben soll:
"Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beschwerde, seit der Wiederherstellung der Deutschen Einheit erlassene Gesetze seien infolge Außer-Kraft-Treten des GG formell verfassungswidrig. Schon die Gründe, aus denen die Beschwerde zu dieser Schlussfolgerung gelangt, sind für den Senat nicht überzeugend; sie werden auch, soweit ersichtlich, anderweit in der Rechtsprechung nicht und in dem fachwissenschaftlichen Schrifttum nur vereinzelt vertreten. Vor allem aber könnte schwerlich angenommen werden, es entspreche dem mutmaßlichen Willen des nach Auffassung der Beschwerde maßgeblichen Verfassungsgebers (pouvoir constituant), dass seit dem Beitritt der neuen Länder nach Art. 23 GG a. F. die Möglichkeit einer Gesetzgebung (einstweilen) zum Erliegen gekommen ist, worauf die Darlegungen der Beschwerde in diesem Zusammenhang hinauslaufen. Unbeschadet der angeblich bestehenden "Legitimationslücke", die von einzelnen Stimmen des Schrifttums hinsichtlich der verfassten Gewalt (pouvoir constitué) nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit bemängelt wird, könnte überdies die Annahme, diese bedürfe erst noch eines plebiszitären Legitimationsaktes, nicht zur Folge haben, bis zum Ergehen eines solchen Legitimationsaktes die tatsächliche Staatspraxis des Erlasses von Gesetzen auf der Grundlage des GG außer Acht zu lassen und auf deren Grundlage erlassene Vollzugsakte als rechtswidrig zu verwerfen. Auch dies ist so klar und eindeutig, dass es nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf." - VII B 281/01 vom 21.02.2002
3. Die Gerichte
Nun habe ich hier schon drei Urteile zitiert, es wird daher Zeit einen weiteren Punkt anzusprechen. Schon mehrfach las ich die Behauptung es gäbe keine Staatsgerichte und unsere Gerichte würden alle unter die private Gerichtsbarkeit fallen. Dabei wird auf das Wegfallen von GVG §15 im Jahr 1950 Bezug genommen. In jenem Paragraphen stand: "Die Gerichte sind Staatsgerichte."
Diese Formulierung von 1877 ist allerdings im Hinblick auf den nie mit zitierten vierten Satz jenes Paragraphen zu sehen: "Die Ausübung einer geistlichen Gerichtsbarkeit in weltlichen Angelegenheiten ist ohne bürgerliche Wirkung."
Heute wird einfach behauptet es ginge um die Unterscheidung Staat/Privatgericht. Das ist nicht der Fall, es ging um die Aufhebung der geistlichen Gerichtsbarkeit, um die Entmachtung der Kirche zugunsten der Staatsmacht.
Solche Kontexte sind natürlich nicht erwünscht. Stattdessen wird als weiteres Argumentation gerne angebracht, das bayerische Verwaltungsgericht in Regensburg habe das bestätigt.
Was wurde denn eigentlich bestätigt? Das Gericht hat, wenig überraschen, auf Anfrage bestätigt, dass GVG§15 weggefallen ist. Dem Leser der einschlägigen Seiten wird allerdings suggeriert es hätte bestätigt, dass es keine ordentliche Gerichte gibt. Allein diese Argumentationsstrategie zeigt doch schon, was man davon zu halten hat.
Nun fragt sich mein geneigter Leser sicher, warum ist er der Paragraph denn weggefallen?
Fragen wir doch den Bundesgerichtshof:
"Im übrigen erfolgte die Aufhebung dieser Vorschriften nicht, weil der Gesetzgeber das Scheidungsmonopol der Gerichte insoweit wieder einschränken wollte, sondern weil er die Vorschriften infolge der inzwischen unbestrittenen Gerichtshoheit des Staates als überholt ansah (vgl. etwa die Begründung zur Aufhebung des § 15 GVG in BT-Drucks. I/530 S. 6)." - IVb ZB 718/80 vom 14.10.1981
"Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut (Art. 92 Halbs. 1 GG). Die Strafgerichtsbarkeit ist Ausübung rechtsprechender Gewalt. Sie war dieser im Grundsatz schon bisher (§ 15 GVG) und ist ihr nunmehr durch das Grundgesetz (Art. 96 a, 102 bis 104 im Abschn. IX "Die Bechtsprechung") vorbehaltlos zugeordnet (vgl. BVerfGE 4, 74, 92 Nr. 3 und NJW 1958, 1963 [BVerfG 14.10.1958 - 1 BvR 510/52] Nr. 1)." - 1 StR 504/58 vom 21.04.1959
Der Paragraph ist nicht weggefallen, weil es keinen Staat gibt, er ist weggefallen, weil er durch Grundgesetz nicht mehr gebraucht wurde und außer Historikern keiner mehr weiß, was eine "geistliche Gerichtsbarkeit" überhaupt ist.
4. Die Gesetze
Ähnlich wie auch die Gerichte wird gerne die Gültigkeit der Gesetze angezweifelt. Immer wieder begegnete mir die Behauptung Gesetze würden einen Geltungsbereich brauchen. Soviel schon einmal: Die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland gelten selbstverständlich in deren Gebiet, einen explizit genannten Geltungsbereich braucht es nicht. Warum aber wird dies dann behauptet?
Die Argumentation dafür ist noch absurder, wie die oben schon genannte Argumentation gegen die Gerichte und zeigt deutlich, mit welcher Sorgfalt in die rhetorische Trickkiste gegriffen wird. Meist beginnt sie mit diesem Zitat:
"Jedermann muss, um sein eigenes Verhalten darauf einrichten zu können, in der Lage sein, den räumlichen Geltungsbereich eines Gesetzes ohne weiteres feststellen können. Ein Gesetz, das hierüber Zweifel aufkommen lässt, ist unbestimmt und deshalb wegen Verstoß gegen das Gebot der Rechtssicherheit ungültig." - von unbekanntem Autor erfunden
Es wird stets behauptet das stehe in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1964, genauer BVerwGE 17, 192. Ich will natürlich auch dieses zitieren:
"Ebenso wie die Landschaftsschutzverordnung die verbotenen Veränderungen im Landschaftsschutzgebiet so deutlich bezeichnen muß, daß die hiermit verbundene Beschränkung von Freiheit und Eigentum einwandfrei erkennbar ist und jedermann auf Grund der Vorschrift in ihrem Geltungsbereich sein Verhalten nach ihr einrichten kann, ohne sich strafbar zu machen, muß sie auch den räumlichen Geltungsbereich dieses Verbots genau umschreiben. Eine Landschaftsschutzverordnung, die hierüber Zweifel aufkommen läßt, ist unbestimmt und deshalb wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rechtssicherheit ungültig." - BVerwGE 17, 192 von 1964
Es geht keineswegs um die Gesetze der Bundesrepublik, sondern um die davon klar zu trennenden Landschaftsschutzverordnungen.
In gleicher Art wird nun gerne angeführt ein Gesetz müsse auch einen Einführungsparagraphen haben, der eine Art zeitlicher Geltungsbereich schafft, ähnlich dem räumlichen Geltungsbereich. Kurzerhand wird dann behauptet die Gesetze über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz hätten das GVG, die StPO und ähnliche Gesetze außer Kraft gesetzt, weil sie Einführungsparagraphen beseitigt haben. Ersteinmal:
"Jedes Gesetz und jede Rechtsverordnung soll den Tag des Inkrafttretens bestimmen. Fehlt eine solche Bestimmung, so treten sie mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist." - Grundgesetz Artikel 82.2
Dann stellt sich natürlich wieder die Frage, warum die Einführungsparagraphen weggefallen sind. Anders als die Staatsleugner will ich diese Frage aber nicht der Fantasie des Lesers überlassen und führe lieber ein weiteres Zitat an:
"Die Vorschrift ist entbehrlich. Ihre sinngemäße Aussage, dass das Gerichtsverfassungsgesetz am 1. Oktober 1879 in Kraft getreten ist, ist für das geltende Recht ohne Belang." - Begründung BMJBBG
Tatsächlich war im Jahr 1879 eine Einführungsklausel für das GVG und die StPO notwendig, denn die beiden Gesetze nehmen aufeinander Bezug und es war formaljuristisch wichtig, dass sie gleichzeitig in Kraft treten.
Aber für den historischen Kontext interessiert sich natürlich keiner. Das würde die Leute schließlich nicht dazu bringen die falschen Schlüsse zu ziehen.
5. Der Friedensvertrag
Eine weitere leidige Behauptung: Es gibt keinen Friedensvertrag und wir sind noch besetzt. Beides ist nicht korrekt. Es stimmt zwar, dass es kein Dokument gibt, auf dem in großen schwarzen Buchstaben das Wort "Friedensvertrag" steht, aber ähnlich wie bei Verfassung und Grundgesetz ist die Verwendung des Wortes "Friedensvertrag" schlicht nicht notwendig. Im Völkerrecht gibt es eine sehr einfache Möglichkeit Frieden zu schließen: nicht mehr mit einander kämpfen.
Diese, auf dem Völkergewohnheitsrecht basierende Möglichkeit, wird im 2+4 Vertrag gewürdigt, in der Formulierung "In dem Bewusstsein, dass ihre Völker seit 1945 miteinander in Frieden leben".
Zum Teil lese ich dann, der 2+4 Vertrag sei aber kein Friedensvertrag. Das ist auch korrekt. Denn es gab zu jenem Zeitpunkt keinen Krieg mehr, der durch einen Friedensvertrag hätte beendet werden müssen. Der Krieg war schon seit Jahrzehnten beendet.
Ein weiterer expliziter Friedensvertrag würde keinerlei Sinn haben, außer ein paar Haarspalter zufrieden zu stellen, die unbedingt ein Dokument mit exakt diesem Titel sehen wollen.
Alle Regelungen, die man in einen solchen Vertrag schreiben könnte wurden längst in anderen Verträgen niedergeschrieben. Mit der USA haben wir nicht nur Frieden, wir haben sogar ein Verteidigungsbündnis namens NATO. Die Sowjets existieren nicht mehr, was die Frage aufwirft, ob es im Osten auch Spinner gibt, die behaupten die Union würde formaljuristisch noch existiert. Mit unseren europäischen Nachbarn sind wir nicht nur in der NATO, sondern haben mit dem Vertrag von Lissabon sogar noch ein zweites Bündnis geschlossen. Wir leben, de facto, in Frieden.
In der Frage nach dem Friedensvertrag wird gerne auf den Deutschlandvertrag verwiesen. Dort gibt es Regelungen, die auf einen solchen Bezug nehmen:
"(1) Die Unterzeichnerstaaten sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß." - Deutschlandvertrag, Artikel 7
Es gibt hier zwei Dinge denen man Beachtung schenken muss: Erstens ist der Vertrag von 1954, man muss ihn also im historischen Kontext betrachten, zweitens ist keineswegs ein Vertrag gefordert, der "Friedensvertrag" heißt oder nur das formale Ende des zweiten Weltkrieges enthält. Gefordert ist eine Regelung die eine Grundlage für einen dauerhaften Frieden ist. Diese Regelungen sind längst vorhanden. Noch einmal möchte ich NATO und EU betonen. Die "endgültige Festlegung der Grenzen" ist wortwörtlich ein wichtiger Bestandteil des 2+4 Vertrags. Die damaligen Vertragsparteien sind der Meinung eine Regelung, die dem Sinn des Deutschlandvertrages entspricht, wurde längst vereinbart.
6. Die Besatzung
Eigentlich ist es kaum die Zeit wert darauf auch nur einzugehen. Dennoch, weil es so häufig auftaucht, werde diesem Thema wohl einen längeren Abschnitt widmen müssen.
"(1) Mit dem Inkrafttreten dieses Vertrags werden die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland und die Französische Republik (in diesem Vertrag und in den Zusatzverträgen auch als "Drei Mächte" bezeichnet) das Besatzungsregime in der Bundesrepublik beenden, das Besatzungsstatut aufheben und die Alliierte Hohe Kommission sowie die Dienststellen der Landeskommissare in der Bundesrepublik auflösen.
(2) Die Bundesrepublik wird demgemäß die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben." - Deutschlandvertrag, Artikel 1
Für die DDR gab es am 25. März 1954 eine "Erklärung der Regierung der UdSSR über die Gewährung der Souveränität an die Deutsche Demokratische Republik".
Gegen diese einfache Tatsache, dass die zwei deutschen Staaten sehr wohl Staaten und insbesondere auch souverän waren, wird gelegentlich auf die Formulierung des Artikels 7 des 2+4 Vertrages angeführt. Dort heißt es:
"(1) Die Französische Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst.
(2) Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten." - 2+4 Vertrag, Artikel 7
Ersteinmal: Die Formulierung impliziert keineswegs, die vorherigen Staaten seine keine solchen gewesen. Sie sagt lediglich: Wir sehen das vereinte Deutschland als solchen an. Die Bezugnahme auf Rechte und Pflichten betreffen die vielen Verträge, insbesondere was die Berlinfrage und die Vorbehaltsrechte betrifft. Zu letzteren wird behauptet wir seien noch besetzt, oder zumindest nicht souverän, weil es auch nach dem 2+4 Vertrag noch verbleibende Einschränkungen für Deutschland gibt. Nun, die gibt es wirklich. Allerdings nicht in der Art, wie sie gerne behauptet wird. Es dreht sich um ein weiteres Zitat.
"Alle Rechte und Verpflichtungen, die durch gesetzgeberische, gerichtliche oder Verwaltungsmaßnahmen der alliierten Behörden in oder in bezug auf Berlin oder aufgrund solcher Maßnahmen begründet oder festgestellt worden sind, sind und bleiben in jeder Hinsicht nach deutschem Recht in Kraft, ohne Rücksicht darauf, ob sie in Übereinstimmung mit anderen Rechtsvorschriften begründet oder festgestellt worden sind. Diese Rechte und Verpflichtungen unterliegen ohne Diskriminierung denselben künftigen gesetzgeberischen, gerichtlichen und Verwaltungsmaßnahmen wie gleichartige nach deutschem Recht begründete oder festgestellte Rechte und Verpflichtungen." - Übereinkommen zur Regelung bestimmter Fragen in bezug auf Berlin, Artikel 2
Besondere Aufmerksamkeit sollte dem zweiten Satz gelten. Ja Vorschriften, die auf Basis der alliierten Vorbehaltsrechte erlassen wurden, können bis heute in Kraft sein. Nein daraus entsteht keine Einschränkung der Souveränität. Deutschland macht sich diese Vorschriften zu eigen und betrachtet sie als eigene Gesetze. Inklusive der Möglichkeit sie zu ändern oder vom Bundesverfassungsgericht einkassieren zu lassen.
Allerdings gibt es natürlich Einschränkungen der Handlungsfreiheit unseres Staates durch die zahlreichen internationalen Abkommen, die NATO Mitgliedschaft oder insbesondere die EU Verträge. In der Frage ob wir unsere Armee mir Atomwaffen ausrüsten, sind wir nicht souverän, wir haben uns im Atomwaffensperrvertrag verpflichtet keine zu besitzen. Nicht anderes sind auch historische Artefakte der direkten Nachkriegszeit zu verstehen. Die Behauptung wir seien besetzt, nur weil wir uns an Verträge halten, selbst an solche, die wir bei harscher Auslegung unter vorgehaltener Waffe unterschrieben haben, ist absurd.
Es gibt dazu eine sehr gerne zitierte Aussage von Herrn Schäuble wir seien schon seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr souverän. Ähnlich wie bei anderen Argumenten ist diese jedoch komplett aus dem Kontext gerissen. Wer sich die Rede in voller Länge anhört begreift, dass er über die Europäische Union redet und sich die Formulierung "nicht voll souverän", man beachte das "voll", auf die Vielzahl internationaler Verträge, die gewisse Handlungen vorschreiben oder verbieten und insbesondere auf an die EU abgegebene Befugnisse bezieht.
Selten werden noch weitere seltsame Dinge mit angeblich andauernden Besatzung in Verbindung gebracht. So wird zum Beispiel Artikel 133 des Grundgesetzes angeführt. Dieser regelt den Eintritt der BRD in die Rechte und Pflichten der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. Daraus soll sich angeblich ableiten lassen, die BRD wäre kein Nachfolger des deutschen Staates, sondern ein Nachfolger der Besatzung. Eigentlich aber besagt er, dass der Staat Bundesrepublik Deutschland die vom Wirtschaftsrat der Besatzungszone geschlossenen Beschlüsse und Verträge als seine eigenen akzeptierte. Es war eine der vielen, in zwischenstaatlichen Abkommen aus der Zeit lassen sich ähnliche Formulierungen finden, Rückversicherungen, dass Deutschland nicht in den ersten paar Jahren seiner Souveränität alle Abmachungen weg wirft und einen Kurs ähnlich der Weimarer Republik fährt.
Schließlich stolpert hin und wieder jemand über die Finanzverwaltung Deutschland GmbH, ein Unternehmen, das im Auftrag des Staates Schulden hin und her schiebt, und über den Artikel 65 des Grundgesetzes, in dem von einem Geschäftsbereich gesprochen wird. Dann wird behauptet die BRD sei ein privates Unternehmen, statt eines Staates.
Geschäftsbereiche entstehen durch die Unterteilung einer Organisation in Einheiten mit klar voneinander getrennte Teilaufgaben. Das Wort "Geschäft" impliziert keineswegs es gäbe sie nur in der Privatwirtschaft. Gleiches gilt auch für die Geschäftsordnung des Bundestages.
7. Das Völkergewohnheitsrecht
Es gibt sicher noch den ein oder anderen Punkt, den ich übersehen habe, man mag mir dies verzeihen. Ich verweile nur äußerst ungern auf den einschlägigen Seiten und diese Argumente zu entkräften ist zeitraubend und anstrengend. Ich habe daher, zum Abschluss, noch ein besonderen Punkt. Den einen eben, der sie alle schlägt: Das Völkergewohnheitsrecht.
Selbst wenn es irgendwo einen formaljuristischen Fallstrick geben sollte, selbst wenn von Gründern und späteren Vertretern der zwei Staaten vor der Wiedervereinigung doch so manche seltsame Aussage getroffen wurde so sind Verfassung und Bundesrepublik durch das Völkergewohnheitsrecht legitimiert.
Auf der einen Seite haben wir Bürger, die alle vier Jahre zur Wahl gehen, und mit ihrer Stimme, egal für welche Partei, den Staat an sich legitimieren. Deutschland ist ein Staat und das Grundgesetz ist seine Verfassung. Zumindest sehen das seit über einem halben Jahrhundert mehr wie zwei Drittel seiner Bevölkerung so.
Allein seit der Wiedervereinigung haben wir das sechs mal durchgespielt:
Die Bevölkerung wählte mit einer Beteiligung von über zwei Dritteln ein Parlament, dieses gab sich eine Geschäftsordnung, ernannte eine Regierung, verabschiedete neue Gesetze und überarbeitete alte. Exekutive und Judikative kümmern sich täglich um deren Einhaltung und der Großteil der Bevölkerung mag mit dem ein oder anderen Urteil unzufrieden sein, sieht im Großen und Ganzen aber sein Grundgesetz als Verfassung und seinen Staat als Staat.
Auf der anderen Seite ist für das Völkerrecht die Anerkennung durch andere Staaten einer der wichtigsten Punkte, viel wichtiger wie zum Beispiel die Aussagen einzelner Mitglieder einer verfassunggebenden Versammlung, oder von mir aus einer "etwas das wie eine Verfassung aussieht und funktioniert, aber keine Verfassung ist, weil die Sowjets die Ossis nicht mitmachen lassen und wir noch immer hoffen, dass sie ihre Meinung in den nächsten paar Jahren ändern"-Versammlung.
Schon vor der Wiedervereinigung verhielten sich beide "Konstrukte" wie Staaten, nicht nur im Inneren, sondern auch auf internationaler Ebene. So traten sie zum Beispiel den Vereinten Nationen bei, deren Mitglieder nach Artikel 4 der UN Charta ausschließlich Staaten sein dürfen.
Unter dem Sammelsurium von der Bundesrepublik eingegangener zwischenstaatlicher Verträge und internationaler Abkommen, und ich möchte zum Abschluss all jene, die nach dem Lesen dieses Textes noch am Überlegen sind, ob eine Verfassung auch Grundgesetz genannt werden kann oder ob ein Verteidigungsbündnis eine friedensvertragliche Regelung ist, an dieser Stelle bitten einen guten Blick auf die Worte "zwischenstaatlich" und "international" zu werfen, finden sich insbesondere einige, die ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union regeln. In jenen Verträgen und in dem aus ihnen folgenden Gesetzeskanon werden die Unterzeichner durchgehend als Mitgliedsstaaten bezeichnet.
Nicht nur die Deutschen selbst sondern so ziemlich die ganze Welt betrachtet die BRD als Staat. Und das seit vielen Jahren in täglicher Praxis.
Und so ist dann, selbst wenn es jemandem gelingen würde eine echte formaljuristische Lücke zu finden, am Ende des Tages
die Bundesrepublik Deutschland ein Staat aus Gewohnheit.
- Shodan, NGB, 2013