Die schottische Schriftstellerin A.L. Kennedy rechnet mit dem britischen Establishment ab.
Sie hält den Brexit für eine "desaströse und wahnsinnig dumme Entscheidung": Die schottische Schriftstellerin A.L. Kennedy ist entsetzt über eine Kampagne, die alle Fakten ignoriert hat. Über die neue Premierministerin Theresa May sagt A.L. Kennedy: "Ich glaube, die haben einfach Flaschendrehen gespielt. So: Du bist dran!"
Außenminister Boris Johnson liegen spektakuläre Auftritte. Er unterstellte Präsident Obama gegen die Briten zu sein, wegen seiner "teil-kenianischen" Wurzeln. A.L. Kennedy dazu: "Er ist ein reflexartiger Rassist. Dieser Kommentar über Obama – "teil-kenianisch", als ob das hieße, er habe keine Ahnung. Wieso kommt ihm das überhaupt in den Sinn? Wieso kommt sowas aus seinem Mund?
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Politischer Aktivismus ist die Miete, die man für Frieden zahlt.
A. L. Kennedy ist Großbritanniens wichtigste Schriftstellerin. Aber mehr noch – eine, die es als ihre Aufgabe ansieht, sich einzumischen. Politischer Aktivismus – sagt sie – ist die Miete, die man für Frieden zahlt. Und den sieht sie gefährdet. Durch das britische Establishment. Durch die 500 Leute, die alles unter sich ausmachen, wie sie sagt. "Als Künstlerin wirst Du manchmal auf ihre Partys eingeladen, um diese zu schmücken. Wenig erbaulich. Es ist entsetzlich, wie dumm diese Leute sind. Aber sie haben den richtigen Akzent und waren auf der richtigen Schule."
Dass David Cameron und Boris Johnson beide auf dem Eliteinternat Eton waren und schon zu Unizeiten konkurriert haben, sei kein lustiger Zufall, so Kennedy. Das habe System. Das obere Prozent bestimmt, geschützt von Geld und Klüngelei. Ein Boris Johnson sei durch nichts zu stoppen. Während das Volk mit ausländerfeindlicher Propaganda und falschem Nationalismus seit Jahren belogen werde.
"Bittere Armut für die meisten"
Denn bringt ein Brexit den Menschen wirklich die Kontrolle über das eigene Land zurück? A. L. Kennedy hat dazu eine klare Meinung: "Das ist es, was ihr bekommt: Bittere Armut für die meisten, leere Luxuswohnungen für Millionäre, abgesicherte Bezirke für Reiche, mit Toren, die die Armen draußen halten, wenige günstige Wohnungen – mit Mauern drumrum, weil sie dich nicht sehen wollen, wenn Du arm bist."
Die Kampagnen haben natürlich anderes prophezeit. Und nicht nur die. Die Mächtigen hätten eine toxische Beziehung zu den Medien, sagt Kennedy. Schlagzeilen, die das britische Weltreich wieder heraufbeschwören. Am Tag der Abstimmung titelte das größte Boulevardblatt: Unabhängigkeitstag. "Propaganda funktioniert. Deswegen heißt sie so. Es wird immer gesagt: (Jeder ist gut informiert,) die Medien haben keinen Einfluss. Aber warum hat Rupert Murdoch dann so viel Zeit investiert, um so viele Medien zu besitzen und so viele Politiker bestochen? Wenn Propaganda keine Macht hat?
Kennedy ist inzwischen aus London geflüchtet.
Die Beobachterin A.L. Kennedy hat der Brexit nicht überrascht. Ihr aktueller Roman spiegelt die Londoner Gesellschaft. Eine Stadt, geprägt vom Kapitalismus. Sie beschreibt, wie Experten, die auf Fakten verweisen, an einer Politik verzweifeln, die nicht verhindert, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht. Und in der auch die Mittelschicht immer weiter abstürzt.
Kennedy ist inzwischen aus London geflüchtet. Doch auch hier, auf dem Land, sei die Gesellschaft gespalten. Sie hat beobachtet, wie Ängste gegen Fremdes geschürt wurden. Arbeitslosigkeit, Armut – den gesellschaftlichen Verlierern seien die Ausländer und die EU als Sündenbock geboten worden. Und die jahrelange Propaganda sei irgendwann für diese Menschen zur Wahrheit geworden: "Die Psyche ist eigenartig. Wenn man sich mit etwas so identifiziert, dass es Teil der eigenen Persönlichkeit geworden ist, dann ist es sehr schwer zuzugeben, dass man falsch lag. Und je falscher, umso schwieriger. Weil man dann ja selbst falsch ist."
Gibt es noch einen Ausweg?
Theresa May will ihr Land aus der EU führen. Doch wird sie den Brexit wirklich durchziehen? Oder gibt es noch einen Ausweg? Kennedy setzt dann doch auf May. Letzte Chance: das Parlament abstimmen lassen: "Es könnte der einzige Ausweg sein für Theresa May – zu sagen: oh, ich wollte den Brexit unbedingt, aber alle diese furchtbaren Abgeordneten waren ja gegen mich. Weil, du kannst es nicht wollen, wenn du die Fakten siehst. Es wird das Land zerbrechen."
Eine starke Stimme. Die Schriftstellerin A.L. Kennedy. Großbritannien hat sie jetzt nötiger denn je.