Ein solcher Vorschlag setzt an der falschen Seite an: Es kann doch nicht ernsthaft darum gehen, durch Steuern Verteilungsgerechtigkeit herzustellen, einfach indem die einen dann mehr und die anderen weniger Steuern zahlen. Die Sichtweise behandelt die Frage so, als ob das Ergebnis dann ein Gut schlechthin wäre. Dabei ist schon theoretisch nicht ganz einfach zu begründen, weshalb Verteilungsgerechtigkeit überhaupt ein Gut ist. Und dann ist da noch das Problem, dass sich dazu nicht die geringste Einigkeit aufweisen lässt. Sobald jemand auf das Leistungsprinzip verweist, stellt man es in ein anderes Licht; dann findet einer Einkommens- und Vermögensunterschiede unerträglich, ein anderer sieht sie als notwendig an, um der Mehrheit der Menschen ein Auskommen zu ermöglichen. So sind plötzlich Mittel und Zwecke miteinander vermischt, so als ob es da Konflikte gäbe. Tatsächlich gibt es sie ja auch, wenn man so darüber nachdenkt. Ich kann die Diskussionen dazu auch wirklich nicht mehr selbst nachvollziehen. Ich frage mich wirklich, wo hier die Ungerechtigkeit liegen soll.
Was spricht dagegen, zuerst sich das Ziel auszumalen und dann zu schauen, was wir dafür brauchen, es zu erreichen? Wir führen längst einen Diskurs darüber, welche materiellen Bedingungen mindestens erfüllt sein müssen und welche Fähigkeiten ein Mensch braucht, um einigermaßen gut leben zu können. Das Ergebnis der ganzen Diskussionen ist durchaus auch differenziert nach den jeweiligen Bedürfnissen von Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen und Lebensweisen. Wer z.B. körperlich behindert ist, braucht zusätzliche Hilfe im Alltag, wer schwanger ist besondere Versorgung usw. Wir wissen ganz gut, was da vorhanden sein muss, damit das Leben für die jeweiligen Menschen schön ist.
So ziemlich alles greifen wir so herum an: Ich will XY können, also studiere ich; ich will in den Urlaub fahren, also spare ich über das Jahr hinweg. Auch in der Politik ist das ja nicht ganz fremd, über das Ziel die Mittel zu wählen und nicht über die Mittel das Ziel. Aber das Ziel ist grundsätzlich, die unerträglichsten Zustände zu vermeiden. Die Steuern müssen heute also genau so hoch sein, dass gerade genug Geld für Schulen, Betreuung, Sicherheit usw. vorhanden ist. Wenn das System der öffentlichen Daseinsvorsorge beständig vor dem Zusammenbruch steht, ist das Ziel trotzdem erreicht.
Am Ende steht irgendeine ungefähre Summe, die zusätzlich über Steuern eingetrieben werden muss. Darüber lässt sich dann diskutieren, jeweils vor dem Hintergrund, dass jeder Mensch je nach Lebenssituation auch unterschiedlich viel Geld braucht, um an einer der vielen Lebensweisen teilzunehmen, die in unserer Gesellschaft allgemein in Frage kommen bzw. propagiert werden. Es zeigt sich dann sicher, dass 100 Prozent Erbschaftssteuer unnötig sind und dass es auch gar nicht schlimm ist, wenn es Milliardäre gibt, solange der Rest ein gutes Leben führen kann.