So, gelesen. Schönes Paper, sehr interessante Forschung, aber man merkt gleich, dass die Jungs wohl nix anderes machen (weil sie einem die Abkürzungen der einzelnen Zellen, Vektoren und vormaliger Rekombinasen nur so um die Ohren hauen).
Wie versprochen hier also der Versuch, euch das mal laienverständlich zu erklären (schreien, falls mir das nicht gelingt):
Gleich vorangestellt: Es ist nicht die erste Arbeit mit dieser Zielrichtung, sie haben das schon mal gemacht. Diesmal waren sie nur effektiver. Grundidee ist, HIV aus den Zellen "rauszuschneiden", statt die Zellen mit Medikamenten daran zu hindern, die Virusteilstücke überhaupt zu produzieren.
Was ist HIV, was macht der Virus, wie läuft die Bekämpfung ab?
Der Human Immunodeficiency Virus besitzt eine Hülle aus CD4[SUP]+[/SUP]-T-Zellmembran (also die Membran der Wirtszelle), aus der mehrere viruseigene "Dockingmarker" ragen. Einfach ausgedrückt tarnt sich das Mistvieh so als körpereigene T-Helferzelle, nur kleiner und mit komischen - aber sehr wenigen - Bobbeln an der Oberfläche. Im Inneren befinden sich (grob zusammengefasst) innerhalb des eigentlichen Viruskapsids (der eigentlichen Virushülle aus viruseigenen Proteinen) die RNA des Virus (welche die Erbgutinformationen trägt), eine reverse Transkriptase und eine Integrase. Dockt der den Virus umgebende Membranklumpen, angeregt durch den Dockingmarker, an eine CD4[SUP]+[/SUP]-T-Helferzelle an, wird der Virus in die Zelle eingeschleust. Ist das Virus nun im Zellinneren, fängt die reverse Transkriptase an, aus der RNA eine DNA zu bauen. Grund dafür ist, dass RNA vom menschlichen Körper zwar für die Proteinproduktion verwendet wird, aber nicht ursprünglich - wir tragen unser Erbgut als DNA spazieren, und der Virus will ja unsere DNA infizieren; das geht nur, wenn er selbst zur DNA wird. Anschließend sorgt die Integrase dafür, dass die neu produzierte HIV-DNA in unsere Chromosomen eingebaut wird. Dazu schneidet die Integrase an einer relativ beliebigen Stelle den DNA-Strang auseinander und baut die Virus-DNA dazwischen. Ab diesem Zeitpunkt kann sie auf normalem Zellweg Proteine synthetisieren und die Zelle ist nicht mehr in der Lage, den Virus los zu werden.
Das Virusgenom, als DNA "Provirus" genannt, liegt nun als Strang in der menschlichen DNA. Bei der reversen Transkription wurden regulatorische "Endkappen" (LTR's) an das Virusgenom angelegt, die einerseits das Auffinden ermöglichen und andererseits auch dessen Exprimierung (Auslesen + Protein/RNA bauen). Im HIV-1-Genom selbst sind 9 Gene codiert: gag, pol, env, tat, rev, vif, vpu, vpr und nef. Uns interessieren nur die ersten 4. gag codiert zusammen mit env für die Virushülle (das Kapsid und die Dockingmarker/Bobbel), pol für die Enzyme (reverse Transkriptase, Integrase und Protease - zu Letzterer gleich mehr) und tat ist der Marker, der die LTR des Provirus erkennt, bindet und so der zelleigenen RNA-Polymerase II sagt, was genau hergestellt werden soll - das Virus nämlich. Hat die Polymerase und alle nachfolgenden Zellkomponenten den Virus mit seinen (Vorläufer-)Proteinen hergestellt, finden diese sich zusammen und werden von der Zelle abgeschnürt. Die Zelle wird also nicht - wie bei manch anderen Viren - bis zum Platzen vollproduziert, sondern kann ewig so weitermachen. Der abgeschnürte Klumpen entwickelt sich dann zum nächsten Virus - und der Spaß kann von Neuem beginnen.
Soweit die Theorie - in der Praxis exprimieren die meisten infizierten T-Zellen aber gar nichts, zumindest nicht andauernd, sondern nur bei Belastung des Immunsystems. Das führt dazu, dass sich diese infizierten Zellen lange Zeit im Körper aufhalten und erst bei Infektionen anderer Art (Grippe, Schnupfen etc.) überhaupt HI-Viren produzieren. Das macht die Bekämpfung etwas schwer, denn der medikamentöse Ansatz ist beispielsweise, die viruseigenen Enzyme zu blockieren und das möglichst so lange, bis die Zelle an Altersschwäche stirbt. Alternativ kann das Docking verhindert werden, in der Hoffnung dass irgendwann eine Riesenfresszelle sich ob der winzigen "T-Zelle" wundert und sie einfach mal verschlingt. Da die T-Zellen aber auch die Aufgabe haben, Langzeitinformationen über Infektionen zu speichern, ist das ein zeitintensives Unterfangen, und die antiviralen Medikamente sind auf Dauer weder billig noch gesund. Außerdem haben sie den saudummen Nachteil, dass sich der Virus anpassen kann und sie damit wirkungslos werden.
Alternative Therapie - Endlösung auf DNA-Niveau
Wir wissen, dass die LTRs recht konserviert sind, d. h. bei vielen HIV-Stämmen identisch oder nur wenig verschieden. Was tat binden kann, können wir auch. Die Idee ist also, eine "Extegrase" zu bauen, die den Effekt der Integrase umkehrt - nämlich die Virus-DNA findet und einfach wieder rausschnibbelt. Freie DNA mag eine Zelle nämlich gar nicht, da sind sofort andere Enzyme am Werk, die das Ding verdauen (DNAsen). Das hat eine ganze Menge Vorteile:
- Wir können sofort schnibbeln, sobald die Virus-DNA zugänglich gemacht wird (also wenn sie exprimiert werden soll) - wann das genau ist, interessiert uns eigentlich gar nicht
- Der Virus kann sich dagegen nur wehren, wenn er die DNA sofort wieder einbaut - dann spielen wir ein bisschen hin und her und gewinnen am Ende trotzdem, weil irgendwann ist eine DNAse (das Verdauungsenzym) schneller als die Integrase des Virus
- Enzyme sind sehr spezifisch, sie machen das, was sie sollen, und nix anderes (meistens)
- Antivirale Medikamente müssen im Idealfall gar nicht mehr verabreicht werden
Was haben die Forscher jetzt gemacht?
Zuerst mussten die Forscher herausfinden, welche LTR-Sequenz genau das Ziel des Schnitts sein sollte. Zwar sind LTRs relativ konserviert, die einzelnen Stämme des HI-Virus haben aber durchaus auch Abweichungen. Sie haben sich dafür entschieden, eine besonders konservierte Teilsequenz der großen Hauptstämme von HIV-1 zum Zielvektor zu erklären, weil das den meisten HI-Patienten hilft. Es gibt bereits eine ganze Menge "Schnibbelenzyme", die alle an unterschiedlichen Stellen schneiden - teils natürlicher Art, teils auch menschlich "evolutioniert". Eines dieser Enzyme wurde nun durch eine "Evolutionsmaschine" geschickt - immer leicht verändert und wieder ausprobiert, bis am Ende ein Enzym rauskam, das die gewünschte Schnittstelle erkennt und schneidet. Bingo - die Schnittstelle wird geschnitten, alles wird gut.
Äh, nein. So eine Zelle ist ziemlich kompliziert, aus mehreren Gründen. Erstens könnte es sein, dass das zusätzliche Enzym, wenn man es in eine Zelle packt, von der Zelle gleich wieder abgebaut wird. Das wäre denkbar schlecht, die ganze Arbeit für die Katz. Viel schlimmer noch, man muss das Enzym erstmal in diese Zelle rein bekommen, auch das ist gar nicht so einfach, wie es sich anhört - immerhin hat die Zelle nicht grade Lust, jedes dahergelaufene Molekül in sich aufzunehmen, und wenn, dann nur verdaut. Das können wir aber wieder gar nicht brauchen. Und dann darf es in der Zelle auch keinen Schaden anrichten, also zum Beispiel andere Schnittstellen im Genom angreifen, die halt nur LTR-ähnlich sind.
Erstmal das Packproblem: Wie kommt ein Enzym in eine Zelle. Nun, dafür haben wir Methoden, und eine der erfolgreichsten Methoden ist die, welche sich auch alle Viren zunutze machen: Docken, gewünschte DNA einschleusen, DNA exprimieren lassen, voilá. Die Forscher haben dazu Lentiviren verwendet, die sie umprogrammiert haben. Das ist zwar teuer, zeitraubend und kompliziert, aber auch relativ sicher.
Zellverträglichkeit 1: Ob die Zelle das Enzym auch annimmt, findet man sehr schnell raus - man schleust nicht nur die DNA ein, sondern auch eine Sequenz, die - wenn sie vom produzierten Enzym geschnitten wird, zum Beispiel einen Leuchtstoff exprimieren lässt. Leuchtet die Zelle unter UV-Licht in einem hübschen Grün, wars wohl eGFP (enhanced Green Fluorescend Protein). Das macht man natürlich mit einer ganzen Zellkultur. Die hat auch schön geleuchtet, die Zellen waren also zufrieden mit dem neuen Mitbewohner.
Zellverträglichkeit 2: Nebenwirkungen. Das findet man nur raus, wenn man die infizierten Zellen lange beobachtet, sich vermehren lässt und nach vielen Generationen mal nachschaut. Haben sie gemacht, hat funktioniert. Die Zellen waren bis zum Ende glücklich und völlig unbekümmert. Trotzdem wurde eine Sicherung ausprobiert: Das neue Enzym wird an den tat-Vektor gekoppelt - es wird nur dann exprimiert, wenn tat in der Zelle vorhanden ist, und das ist erst der Fall, wenn die Zelle mit dem HI-Virus infiziert wurde. Hat auch funktioniert, alles gut.
Zellverträglichkeit 3: Multiple Infektionen. Sind zwei HI-Viren in der gleichen Zelle aktiv, gibt es mehr als zwei LTR-Schnittstellen - im dümmsten Fall kann es dazu führen, dass ein gigantischer Bereich des Chromosoms einfach mitsamt beider HI-Stränge rausgeschnitten wird. Das ist doof, weil nicht zu ändern. Aber es ist auch egal, aus mehreren Gründen. Erstens haben wir Chromosomenpaare - ist eins davon kaputt, ist es der Zelle ziemlich egal. Zweitens ist es wahrscheinlicher, dass die zwei nahe beisammen liegenden LTR-Stellen geschnitten werden, weil räumliche Nähe. Drittens pflanzt sich HIV irgendwo ins Genom rein - dabei können schon Gene abgeschalten worden sein, die zum Beispiel wichtig für die Tumorprävention waren. Der Schaden des HI-Virus ist also auf genetischem Niveau (unabhängig von der immunschwächenden Wirkung) wesentlich höher. Und viertens konnte bereits beobachtet werden, dass sich HI-Viren scheinbar nur äußerst selten T-Zellen aussuchen, die schon infiziert sind.
Zellverträglichkeit 4: Ganzer Organismus. Eine Zelle ist kein Organismus. Zwar können zelluläre Probleme auch dort bleiben, sie müssen es aber nicht. Wenns dumm läuft, leidet der ganze Organismus darunter. Auch das wurde ausprobiert, indem man befruchtete Mäuse-Eizellen mit dem Enzym versetzt hat und in pseudo-schwangere Mäuse eingepflanzt hat. Die ausgewachsenen "Infizierten" wurden dann gepaart, und die ebenfalls mit dem Gen bestückten Nachkommen wurden untersucht. Offenbar keine negativen Auswirkungen.
Zellverträglichkeit 5: Infektion. Wurde getestet - Mäuse mit humanen T-Zellen wurden infiziert, die Infektion klang ab, d. h. die Viruslast in der Lymph- und Blutbahn nahm schnell ab, die Zellsterblichkeit war minimal. Es funktioniert also auch am lebenden Objekt.
Zellverträglichkeit 6: Fortpflanzung. Das wurde nicht ausprobiert. Obwohl "Zellverträglichkeit 4" dahingehend verstanden werden kann, wäre das ein Trugschluss: Die ursprünglichen Eizellen, also die Mäuse im Ein-Zell-Stadium hatten das Gen. Das wird bei der Anwendung nicht so sein, da lässt man die Lentiviren auf ausgewachsene Individuen los. Können die Viren die Keimbahn infizieren (also entweder die Testikel oder die Eierstöcke), können Nachkommen das eingebrachte Gen tragen. Das ist auch bei Virusinfektionen so. Gewünscht ist das nicht, eigentlich wollen wir ja nur die T-Zellen mit dem Oberflächenprotein CD[SUP]4[/SUP] infizieren, weil nur die sich gegen HIV wehren können müssen. Das wäre eine somatisch verlaufende Infektion, die Keimbahn wäre nicht betroffen. Wie gesagt, wurde nicht probiert.
So, ich glaub, ich hab nix vergessen - wenns Fragen gibt, einfach raus damit.