Die US-amerikanische Bestsellerautorin Maggie Stiefvater betraute ihren Bruder mit einer ganz besonderen Aufgabe: Zum Verkaufsstart ihres neuen Buches sollten gefakte Kopien ihres E-Books bei diversen Filesharing-Portalen auftauchen. Mit der frühzeitigen Verbreitung einer nutzlosen Ausgabe wollte Stiefvater untersuchen, wie sich dieses Vorgehen auf die offiziellen Verkaufszahlen auswirkt.
Die vermeintlichen Piraterieangebote sollten nach außen hin den Anschein erwecken, vollständig zu sein. Ihr Bruder ließ aber die ersten vier Kapitel in einer Endlosschleife laufen, bis die Größe des echten Werkes erreicht war. Die Untersuchung des Kaufverhaltens beschränkt sich auf den US-amerikanischen Markt, weil ihre Bücher zunächst exklusiv in den USA vertrieben werden.
Maggie Stiefvater wollte mit ihrer Aktion zwei Aussagen, die immer wieder in Diskussionen aufgegriffen werden, widerlegen:
1) Das Verlagswesen ist von der Piraterie grundsätzlich nicht betroffen.
2) Wer ein Buch illegal bezieht, wollte es sowieso nicht kaufen. Deswegen kann man nicht von einem Umsatzverlust für den Autor bzw. Verlag sprechen.
Die bald 36-jährige Autorein brachte in einem Selbstversuch zum Verkaufsstart ihres vierten Buches der Reihe „The Raven Circle“ unbrauchbare Kopien in Umlauf. Sie wollte sehen, was dann passiert. Beim dritten Teil der Erfolgsserie war Stiefvater aufgefallen, dass sich zwar die gedruckten Bücher gut verkauft haben, der Umsatz der E-Books war hingegen deutlich geringer als bei den vorherigen Teilen. Auch im Fall von „Blue Lily, Lily Blue“ wurden von ihrem Verlag vorab Rezensionsexemplare in digitaler Form verschenkt. Dementsprechend bat Stiefvater ihren Verlag, beim neuen Werk nur noch gedruckte Fassungen an die Journalisten auszuliefern, um eine ungewollte frühzeitige Verbreitung zu vermeiden. Der Verlag Scholastic Press sagte ihr dies zu.
Bei ihrer Tour quer durchs Land hatte sie den Eindruck, dass das Interesse an ihren Büchern gestiegen und nicht gefallen sei. Von daher konnte sie sich die sinkenden Verkaufszahlen ihrer E-Books nicht erklären. Bei ihrer Recherche in Foren und Blogs fand sie einige Download-Links, die sich ihre Fans geschrieben haben, um sich kostenlos mit ihren neuen Büchern zu versorgen. Schon nach kurzer Zeit erteilte sie keine Aufträge mehr an Anti-Pirateriefirmen, die in ihrem Auftrag Löschaufforderungen verschickt haben. Die Bemühungen der Piratenjäger liefen ins Leere, weil es im Netz einfach viel zu viele Quellen für ihre Romane gab. Wenn nur ein einziger Download-Link funktioniert, wird der ungebremste illegale Vertrieb ihrer Bücher weitergehen.
I’ve decided to tell the internet a story about piracy.https://t.co/fRPNhB0LUY pic.twitter.com/80ay9LpIXh
— Maggie Stiefvater (@mstiefvater) 30. Oktober 2017
— Maggie Stiefvater (@mstiefvater) 30. Oktober 2017
Am Ende ihres nachgemachten Buches schrieb ihr Bruder eine kurze Notiz und klärte die Downloader darüber auf, wie schädlich die Piraterie sei. Wenige Minuten nach dem offiziellen Verkaufsstart machte ihr Bruder den Fake-Release bei allen einschlägigen Piraten-Seiten verfügbar. In den Foren war daraufhin die Hölle los. Viele Leser fragten nach vollständigen Versionen, weil in den ersten 7 Tagen lediglich das Imitat verfügbar war. Auch schrieben dort duzende Fans, sie hätten nun mangels Geduld das E-Book gekauft, weil sie es nicht mehr abwarten konnten. Die Verkaufszahlen waren überraschend hoch. Die digitale Version wurde anfangs so viel verkauft, wie die gedruckte.
Im Vorfeld hatte ihr der Verlag angedroht, man reduziere die Anzahl der an die Büchershops ausgelieferten Bücher beim vierten Teil auf die Hälfte. Wegen der schlechten Verkaufszahlen hatte der Verlag befürchtet, im Einzelhandel auf den unverkauften Werken sitzen zu bleiben. Maggie Stiefvater ist davon überzeugt, dies war unter anderem aufgrund ihrer selbst ausgedachten Antipiraterie-Strategie nicht der Fall. Als ihr E-Book eine Woche später ungekürzt im Internet verfügbar war, sackten die Verkaufszahlen für E-Books wieder in den Keller.
Stiefvater schrieb dazu im O.-Ton auf ihrem Blog:
„This ain’t 2004 anymore. A pirated copy isn’t ‘good advertising’ or ‘great word of mouth’ or ‘not really a lost sale.’“,
womit sie nicht Unrecht hat. Oder was meint ihr? Kauft ihr die Bücher/Filme oder Musik-Alben wirklich noch, nachdem ihr sie schon auf Eurer Festplatte habt? Und wenn ja, wie häufig ist dies der Fall?
Quelle Beitragsbild, thx! (CC0 1.0)
https://tarnkappe.info/?flattrss_redirect&id=23462&md5=21a6ec42e23e02e1605a78fd59bdf6ea
Autor: Lars "Ghandy" Sobiraj
Quelle