Ja, meine Güte. Was war er eigentlich denn?
Ein unscheinbarer Mann, den man draußen in der weiten Welt kaum wahrgenommen hätte, solange er schweigt. Doch wehe, wenn er losgelassen wurde, dann brach seine geballte Redekraft wie ein Unwetter über die Köpfe der Unwissenden herein!
Immer wieder war zu hören, er habe die Werke der Autoren zerrissen. Hat er nicht, er hatte sie zerlegt, seziert, jeden Fehler bestraft, wie er es nur konnte. Gelobt, da wo es angebracht war zu loben. Das ist Kritik, haarscharf eingegrenzt und ohne persönliche Vorurteile verabreicht. Dem Autor immer ein kleines Hintertürchen zu öffnen für das nächste Mal. Dieser Mann konnte bestrafen und vergeben, wie kein anderer. Wenn er die Kritik mal ungewohnt sanft verpackte, das war für so manchem Schreiberling fast so schön wie der Nobelpreis!
Habe ihn gerne gehört, der wusste wenigstens was er daher redet im Gegensatz zu andere, die jeden Mist als literarische Kunst hochstilisieren. Die haben dann ihr Fett abbekommen vom Großmeister, der jetzt leider, leider nicht mehr unter uns weilt. Watschen hat er genug verteilt aber nette Watschen. Trotz der harten Kritik blieb er immer fair dem anderen gegenüber. Er kritisierte die Werke, nicht vorrangig die Erschaffer und das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Er wusste genau, was zu vermeiden ist, dank seiner Intelligenz. Denn nur die wirklich geistig Armen üben Kritik an der Person, wenn ihnen das Werk missfällt. Damit outen sie sich als das was sie sind, das wusste er ihnen auch klar und deutlich zu vermitteln. Von ihm nicht einmal kritisiert zu werden, sondern missachtet, dass war die Höchststrafe schlechthin. Auch mit seinen Kollegen ging er nicht gerade sanft um, das war auch gut so!
Reden, wenn es was zu sagen gibt und nicht um des Redens Willen, dass ist die hohe Kunst, die er perfekt beherrschte.
Außer ihm fällt mir keiner ein, der so in der literarischen Welt agieren konnte. Was er sagte, hat gesessen, punktgenau und messerscharf. Widerworte gab es nicht oder kaum, wenn doch folgte die nächste Attacke. Jedes Wort ein Stich, der Satz wurde zum Trommelfeuer. Nie stand er mit dem Rücken verbal an der Wand, verteidigen musste er sich niemals, das Wort war ihm fremd. Den Freibrief, ungestraft die Wahrheit zu verkünden hatte er sich irgendwann einmal genommen und nicht wieder losgelassen.
Wie es scheint nimmt er ihn mit!
Wie einfach es doch ist, der Mensch braucht nicht genug Argumente, wie es so mancher glauben mag. Der Mensch braucht nur die Wahrheit und den tiefen unerschütterlichen Glauben daran, den festen Willen dafür einzustehen. Möge auch kommen was will, niemals zu wanken oder zu weichen. Wenn jemand diese Gaben besitzt, weiß damit umzugehen und richtig einzusetzen, der geht seinen Weg unbeirrt durchs Leben und noch weiter.
Er war einfach er und lies sich nicht verbiegen. Das machte ihn so sympathisch. Dazu sein unnachahmlicher Akzent. Eine geniale Mischung aus Humor, Persönlichkeit, Intelligenz und die Liebe zur schreibenden Kunst, die es so noch niemals gab und auch nie wieder geben wird.
Viele hinterlassen ein Luftloch, wenn sie gehen.
Marcel Reich-Ranicki hinterlässt eine riesengroße Lücke, die so schnell keiner schließen kann.
Traurigerweise auch nie einer schließen wird!
Ruhe in Frieden!
Sicherheitshalber mal ja. Obwohl ich mir fast sicher bin, das passt nicht ganz. Wo immer die Reise hingehen mag, hoffentlich gibt es dort Autoren und Bücher für ihn!