Ketamin bei Depression - ein weiterer Erfahrungsbericht
Hallo liebe Netzgemeinde,
Bisher habe ich mich nicht Wort gemeldet. Dies erschien mir in gewisser Weise auch sinnlos. Die Symptome einer Depression sind hinlänglich bekannt. Zumindest unter den Betroffenen. Und wie viele Betroffene, so war es auch bei mir:
Ich war in mir selbst gefangen.
Keiner verstand mich. Selbst ich verstand mich nicht (mehr).
Und ich war ziemlich einsam und alleine. Isoliert. Da war auch keiner, der so war wie ich. Keiner, von dem ich das Gefühl hatte, er würde wissen, wie sich das anfühlt... Selbst andere Menschen, die ich kennenlernte bei etlichen Psychiatrieaufenthalten gaben mir keinen Mut, da geteiltes Leid in diesem Fall doppeltes Leid war.
Das Gefühl, kein Gefühl zu haben... Ich wünsche es niemanden und ich weiß, dass es nur ein falscher Umstand sein kann, der in so einer Situation dann zur Selbsttötung führt.
Egal ob es ihn gibt oder nicht: Gott sei dank, ich kann wieder etwas fühlen.
Gott, die Menschen, das Leben... Alles war lange Zeit einfach weg. Es war zwar da - aber es war für mich nicht mehr fühlbar. Erreichbar. Ein Film illustriert diesen Zustand meines Erachtens recht treffend. Er heißt: "Die Wand" ... Schau ihn Dir an und Du weißt ein wenig davon, was in Depressiven vorgeht...
Es gibt unzählige Beiträge über diesen Zustand, über welche ich sehr dankbar bin, da ich weiß, wie sinnlos es einem innerhalb einer Depression scheint, überhaupt einen Buchstaben nach den anderen zu reihen...
Wieviel Kraft es kostet und wie nur 1 Milimeter von irgendwas einem gleichzeitig so weit entfernt vorkommt, als seien es Millionen Kilometer.
Natürlich ist das meine eigene Erfahrung. Und natürlich weiß ich nicht, wie es sich bei Dir anfühlt. Und natürlich bin ich gerade auch nicht depressiv und kann Dir deshalb auch nicht sagen, wie es sich für Dich anfühlt -aber wenn es so war wie bei mir, dann ist es die Hölle auf Erden. Es ist eben genau dieses undefinierbare, dieses sich selbst fertig machende, dieses: für alles verantwortlich sein und trotzdem keine Antworten habende... Da sein und gleichzeitig tot sein. Abgestorben. Ein lebender Zombie, wenn es sowas überhaupt gibt... Und es gibt noch weitaus mehr, was man über das Ausdrücken könnte, was das Schlimmste des Schlimmsten ist. Und das mal 1 Million oder mehr. Es ist ein Zustand, in dem der Tot einem im Prinzip auch sinnlos vorkommt. Manchmal erscheint er als Lösung. Aber irgendwo ist da die Gewissheit, das selbst der Tot keine Befreiung ist. Und manchmal ist da ein Aufbäumen und man glaubt, vielleicht ist der Tot doch eine Lösung. Wobei dann die Gewissheit oft kommt, das ein Toter ja nicht sterben kann. Er ist eben tot. Aber eben toter als tot.
Da man schon alles mögliche probiert hat, was man vorher nicht probierte (Sport, Antidepressiva, Kino, Meditation, Yoga) und was keinen Effekt, keine Besserung brachte, so erscheint die Idee, dass auszuprobieren, was man meist nur einmal ausprobiert, einem beinahe sehr plausibel: von der Brücke springen. Vor einen Zug werfen. Schlinge. Strick...
Wie ein Magnet, kann es passieren, dass sich die Gedanken darauf fixieren, in dem Tot eine Lösung zu sehen. Dann kommt Asche endlich zu Asche und Staub zu Staub. Denn wenn man schon tot ist, sollte man es dann nicht vielleicht auch durchziehen?
Es ist nur ein kleiner Unterschied, aber es macht einen riesigen Unterschied für den Einzelnen aus, ob er sich gerade über der Wasseroberfläche befindet, atmen kann und aufs Meer schaut, oder ob er gerade unter Wasser ist. Immer tiefer nach unten gezogen wird und dabei die Gewissheit trägt, dass niemand auf der anderen Seite der Meeresoberfläche ihn sieht. Dort sehen alle nur das Meer und die Wellen, die vielleicht zum Schwimmen einladen. Keiner sieht, wie Du da unten bist und merkst, wie Du immer tiefer in den Strudel der Abartigkeit, Stumpfheit und Sinnlosigkeit gerissen wirst. Wie alles auseinanderfällt. Kein Wort mehr einen Sinn ergibt. Kein Gedanke mehr dem anderen vertraut...
Naja... Sowas halt.
Und ich wünsche mir sehr, dass Du es nicht so schlimm hast, wie es bei mir war.
Und ich hoffe für Dich, dass, falls es für Dich noch schlimmer ist, es auch für Dich einen Weg da raus geben wird.
Denn ich bin mir sicher, die Verantwortung für Deine miese Lage tragen wir alle...
Und ich hoffe, dass Du diese Zeilen liest und vielleicht eine Idee bekommst von Hoffnung. Eine Idee von: ich wache morgens auf und freue mich auf den Tag.
Eine Idee davon, dass es nicht immer grau sein muss. Und grau ist wahrlich eine noch sehr liebe "Farbe" für die farbliche Assoziation, die ich hier mit der Depression verknüpfe...
So...
Jetzt ein paar kurze Eckdaten zu mir:
- Bin mittlerweile 31, männlich
- 2011 hatte ich meinen ersten von vielen Psychiatrieaufenthalten
- Hab es geschaft, ein Studium vor der Depression abzuschließen
- Seit meiner ersten Psychose, mit Diagnosen wie "schizzoaffektive Störung und bi-polar" verfolgte mich dieses ungute Gefühl, für dass es viele Wörter aber kein für mich passendes zu geben schien...
Egal ob andere sagten bi-polar, depressiv, schizophren.
Vielleicht half es mir, irgendetwas zu erkennen, aber es änderte nichts an meiner Situation. An den Umständen. An der Art und Weise, wie ich das Leben seit dem Ausbruch der Erkrankung 2011 wahrnahm. Und ich denke, dass die Vorläufer dieses "Unguten Gefühls der Gefühllosigkeit" schon vorher kamen...
Schön: es gab jetzt einen Bezeichnung für meinen Zustand. Etwas, dass sagte, dass ich eben so war wie ich war.
Aber es änderte eben nichts an dem Zerfall (meines Lebens), dem ich mich nach wie vor ausgeliefert fühlte...
Ärzte gaben mir Medikamente. Zunächst lehnte ich mich auf. Dann arbeitete ich mit ihnen zusammen. Beides hatte nur keinen Effekt auf dieses ungute (Nicht)Gefühl - dass ich mittlerweile ja schon recht ausschweifend versucht habe, irgendwie in Worte zu fassen...
-Ich bekam eine Tochter. Doch selbst dieses Ereignis lies einen Großteil in mir unberührt. Der "Zerfall" meines "ich"s, oder besser meines "selbst"s ging trotzdem voran... Hoffnung und Glauben waren wie Liebe nur Wörter. Bestenfalls. Es Waren nur die Buchstaben, die einen anderen Umstand vermuten ließen. Egal ob es Liebe oder Hoffnung hieß. Es hätte genausogut Karotte oder Schifffahrtskapitän heißen können. Es war gleich. Gleich sinnlos. Gleich wertlos. Das Lachen und Glucksen meiner Tochter, die Geburt meines eigenen Kindes - es ließ mich kalt. Gefühltstechnisch war da nichts, was ich fühlte.
Höchstens Schmerz.
Fühlen. Tja. Beschreibe mal: fühlen. Das ist für so viele Menschen so selbstverständlich. Aber wenn man die eigene Seele nicht mehr fühlt - nur noch irgendein Körper ist, der irgendwie hin und her treibt und sich nicht von den anderen Dingen unterscheidet. Für den Weihnachten, hartes Arbeiten, ein Lottogewinn, Freunde oder Feinde haben einfach alles nur das gleiche erzählten: Sinnlosigkeit.
Schmerz lässt sich nicht in Worten definieren. Er wird gefühlt. Man kann ihn an anderen vermuten. Ihn hineininterpretieren. Der Depressionsschmerz ist ein anderer Schmerz: er ist meines Erachtens nicht wirklich definierbar. Er ist das schwarze Loch in das es selber fällt.
So. Es gehört leider oder Gott sei Dank zu mir, dass ich abschweife.
Ich komm jetzt mal zum Punkt:
Ich bin einer jener Patienten gewesen, die den Eindruck hatten, dass keine der Therapien und Medikamente bei ihm eine Wirkung erzielen.
Welche ich ausprobierte, verrate ich Dir gerne auch in einer persönlichen Nachricht. Auf jeden Fall bin ich durch irgendeinen Zufall auf Ketamin gekommen.
Ich glaube es war der Umstand, der "Blitzwirkung" und der recht hohen Erfolgschance, selbst bei sogenannten ressistenten Depressionsfällen.
Fällen, die es scheinbar noch schlimmer hatten als ich. Die mehr Zeit ihres Lebens depressiv waren, als in einem anderen Zustand...
Die unter Umständen mal eine fröhliche Kindheit hatten und mittlerweile 80 waren. Und dazwischen Depressiv.
Es waren diese Fälle, die mich aufhorchen ließen.
Allerdings gab es von ihnen keine Erfahrungsberichte. Es gab nur in dem ein oder anderen Forum ein paar Links zu den sehr nach "Wunder" (und damit zu schön um wahr zu sein) klingenden vereinzelten Studien...
Ketamin ist meiner Ansicht nach noch immer:
1. nicht bekannt in der Psychiatrie und Psychologenwelt
und 2. diesbezüglich noch sehr unerforscht.
Es gibt eben diese einzelnen verblüffenden Studienergebnisse von denen aber alle zu schön um wahr zu sein klangen...
Ich entschloss mich, der Sache auf den Grund zu gehen.
Ich brachte jedoch nicht viel in Erfahrung.
Meines Erachtens gab es 3 Erfahrungsberichte auf Deutsch, die ich vielleicht bald hier mal verlinken werde. Wovon einer in diesem Forum gepostet wurde, wofür ich sehr dankbar bin - auch wenn bei dem Betroffenen Ketamin wohl keinen Erfolg hatte...
Ich erfuhr weiter, dass es in Deutschland (meines Wissens) nur 2 Orte gibt, an denen eine Ketamintherapie angeboten wird. Einmal die Charité in Berlin und einmal bei einem Arzt in Köln.
Und das war mein Glück. Denn ich weiß nicht, ob ich einen längeren Weg in Kauf genommen hätte. Oder ob sich die Idee verflüchtigt hätte, wenn der Ort ein anderer gewesen wäre.
In Köln wohne ich.
Und das ist der aktuelle Stand:
Nachdem ich nach einem Anruf einen recht ausführlichen Fragebogen zu mir und meiner Person zugeschickt bekam und diesen wieder zurückschickte, bekam ich kurze Zeit später einen Anruf, bei dem mit mir Termine für die Therapie vereinbart wurden.
Heute war der erste Termin.
Beim Arzt besprachen wir nochmal alle Punkte, die auch auf seiner Webseite, der einzigen, die sich zu Ketamin im Bezug auf Depressionsbeweltigung äußert, zu lesen sind.
Und ich hatte die Möglichkeit, alles von mir und der Art und Weise, wie ich die Welt (nicht) wahrnahmen zu äußern...
Was soll ich sagen.
Kurze Zeit darauf hing ich am Tropf.
Und bei mir löste sich in den 40min eine Menge...
...ich bin immernoch perplex.
Allein die Tatsache, dass ich hier schreibe und den Text wohl auch Posten werde, was ich ungefähr 100x vorher in Erwägung gezogen hatte und gleichzeitig wieder aus (hat ja alles sowieso keinen Sinn) undefinierbaren Gründen nicht tat, ist einer kleine Beweis für mich, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes wieder am Leben bin. Und zwar ganz. Ich fühl mich wieder. Ich fühle wieder etwas.
Ihr könnt euch nicht vorstellen wie das ist...
Hier also mein Statement:
Ich kann über die Langzeitwirkung von Ketamin noch nichts sagen.
Aber momentan fühl ich mich (großartig). Nicht euphorisch - aber sehr verblüfft.
Ich fühle wieder. Und vor allem kann ich mich auch wieder freuen. Und das ist so eine wunderbare Sache...
Bei mir habe ich eine Wirkung schon innerhalb der Injektionszeit bemerkt.
Es war krass. Und ich denke, dass die Vorsichtsmaßnahmen dabei sehr gut bedacht sind, denn ich fühlte mich sicher. Auch wenn ich alleine wahr, so beobachtete mich der Arzt über zwei Webcams und konnte jeder Zeit einschreiten.
Er kam glaub ich auch 1 bis 2 mal ins Zimmer und erkundigte sich bei mir nach meinem Empfinden.
Und ich lag da wie ein Eisberg, der schmolz. Die Sonne brach im wahrsten Sinne durch die Wolken. Dieser Eisberg, war jetzt kein Klimawichtiger Eisberg, sondern einer, der selbst in der Wüste vorher nicht zu schmelzen begonnen hatte. Und er schmolz.
Genausowenig, wie ich das Gefühl beschreiben kann, wie es ist, kein Gefühl zu haben, fällt es mir jetzt schwer zu beschreiben, wie es ist, wieder zu fühlen...
Allerdings weiß ich, dass mir dieser Zustand besser gefällt.
Da es zur Depression gehört, dass man Dinge anfängt und nicht zuende führt, will ich hier aber den Test aufs Exempel wagen:
Ich habe mir vorgenommen, hier regelmäßig über den weiteren Therapieverlauf zu berichten. Sollte ich das nicht mehr tuen, werde ich das ankündigen, oder ihr könnt davon ausgehen, dass die Depression (leider) wieder zurück gekommen ist...
So geht's weiter:
Momentan fühle ich mich gut.
Werde jetzt mal schauen, wie ich morgen aufwache.
Dann gibt's morgen direkt die 2te Injektion.
Es war abgesprochen, dass wir danach besprechen, ob es eine (positive) Wirkung gibt und ob wir die Behandlung dann fortführen.
Dies würde innerhalb der nächsten 2 Wochen noch ca. 4 weitere Injektionen bedeuten. Danach käme ich dann alle 4 Wochen einmal zum Arzt.
Wie es dann weiter geht, ist noch unklar.
Ich hoffe, dass sich die zeitlichen Abstände zwischen den Injektionen vergrößern lassen, so dass ich vielleicht in einem Jahr nur noch jährlich eine Injektion nehmen muss...
Falls mir grüne Augen am Hintern wachsen, sage ich Bescheid
Nebenwirkungen hatte ich keine. Zumindest keine, die mir bisher (negativ) aufgefallen wären.
Dafür eine Wirkung, von der ich niemals geglaubt hätte, dass sie eintreten würde.
- ich will hier aber auch nicht die Werbetrommel für Ketamin rühren. Es kann durchaus sein, dass das Zeug bei Dir aus irgendwelchen Gründen nicht hilft.
Trotzdem würde ich Dich ermutigen, es zu probieren. Solltest Du Bedenken haben, wäre ich Dir sehr dankbar, über deren Äußerung. Vielleicht habe ja auch ich was nicht bedacht!?!
- und es kann durchaus sein, dass ich langzeittechnisch noch irgendeine Erfahrung mache, die ihr hier dann hoffentlich lesen werdet, welche mit negativ auffällt...
- Ein Wort zu den Pharmakritikern: ich war auch einer. Erst deswegen, weil ich Angst hatte, das Zeug könnte mir meine Persönlichkeit klauen und danach deswegen, weil ich gemerkt habe, dass es bei mir nicht wirkte...
Warum das bei Ketamin anders ist, lässt sich vielleicht nur mit dem "anderen Teil des Stoffwechselsystems im Gehirn erklären"... Keine Ahnung. Aber ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, warum ich beim Zahnarzt nach der Spritze nichts mehr in der Backe fühle oder warum ich es für sinnvoller halte, dass Menschen mit einem Nierenleiden ein Dialysegerät bekommen sollten... Es ist halt meines Erachtens so wie es ist.
Bei mir hast gewirkt. Und ich bin (bisher) aus einem merkwürdigen Albtraum erwacht, von dem ich jedoch weiß, dass es kein Traum war...
Ich freu mich auf Eure Fragen,
Gute Nacht
Michel alias DerFuchs
Ps:
Ich habe diesen Text nicht wirklich korrigiert und in einem runtergeschraubten. Will damit sagen, dass manche Dinge sich vielleicht nicht ganz flüssig lesen oder auch grobe Rechtschreibfehler eingebaut wurden.
Über Hinweise diesbezüglich bin ich dankbar.