Nur mal meine persönlichen Erfahrungen zum Fachkräftemangel in Deutschland:
Ich hab in Sachsen studiert. Meine Frau stammt aus Südamerika und war dort 8 Jahre lang Lehrerin und hat zusätzlich 'ne Ausbildung als Erzieherin.
1. Anerkennung Lehramt in Sachsen
Wurde abgelehnt. Sie hat nur 1 Fach als Lehramt, in Deutschland braucht man 2. Auch die 8 Jahre Berufserfahrung waren irrelevant. Ihr wurde vom sächsischen Kultusministerium geraten, noch mal zu studieren. Mit etwas Glück könne sie ein paar Kurse anrechnen lassen.
2. Anerkennung Erzieher in Sachsen
Wurde abgelehnt. Das duale Ausbildungssystem gibt's meines Wissens nach nur in Deutschland. In anderen Ländern schimpft sich das auch Studium und hat Ähnlichkeit zur Berufsschule. Da die Ausbildungsform unterschiedlich ist, gibt's halt auch keine Anerkennung. Auch das Praktikumszeugnis eines deutschen Kindergartens, das die Professionalität meiner Frau bescheinigte, spielte keine Rolle. Der Kindergarten suchte übrigens Erzieher. Aber ohne staatliche Anerkennung mussten sie halt weitersuchen.
Da Sachsen offenbar einen exorbitanten Fachkräfteüberschuss hat und eine Lehrerin/Erzieherin und damit auch einen Informatiker nicht wollte, gingen wir nach Hessen.
Fachkräftemangel in Hessen
Wir kamen nach Hessen, wo es anscheinend wirklich andere Möglichkeiten gibt. Zumindest hatte meine Frau nach 3 Tagen einen Job über eine Zeitarbeitsfirma als Erzieherin in einer städtischen Kita. Nach einem Jahr bekam sie mit etwas Diskussion eine Festanstellung bei der Gemeinde. Da sie auch hier keine Anerkennung hat, wurde sie offiziell als
Kinderpflegerin mit höherer Erfahrungsstufe angestellt. Im Endeffekt hat sie den identischen Aufgabenbereich zu einer staatlich anerkannten Erzieherin.
3. Anerkennung Lehramt in Hessen
Wurde abgelehnt. Sie nannten es "teilweise anerkannt". Bedingung war, dass meine Frau eine Abhandlung über ihre Kenntnisse schreiben soll, die Hälfte des Grundstudiums, das gesamte Hauptstudium und das Referendariat noch mal absolvieren muss. Bevor sie uns ihre Entscheidung mitteilten, dürften wir noch 140€ berappen.
Außer Spesen nichts gewesen.
Fachkräftemangel in Sachsen
Kurz danach polterte der sächsische Innenminister auf n-tv.de, dass Sachsen ein Fachkräftemangel hat. Ich schrieb eine Mail von der Größe von 2 Din-A4-Seiten hin. Diese wurde an den extra für das Problem gegründeten Ausschuss weitergesandt. Die Leute bedankten sich dafür, dass ich ihnen ganz neue Aspekte aufgezeigt hab, die sie nie im Blickfeld hatten. Die dachten immer nur, dass der Anerkennungsprozess zu lange dauern würde und zu kompliziert wäre. Sie wollten unsere Lage noch mal diskutieren und die Zeugnisse meiner Frau noch mal prüfen. Ein paar Wochen später riefen sie noch mal an. Am Ergebnis würde sich nichts ändern. Weiß nicht, ob sie ihre Ignoranzschwelle überschreiten konnten und wenigstens begriffen haben, warum niemand nach Sachsen kommt und viele Sachsen eher abhauen.
4. Anerkennung Erzieher in Hessen
Dazu wandten wir uns ans Schulamt und trafen die erste ehrliche Person im bürokratischen Umfeld. Der sagte uns gleich, dass der Anerkennungsversuch sinnlos wäre. Zusätzlich sei seit 1.3. diesen Jahres die Prüfung ausländischer Erzieherabschlüsse durch die Überführung von Landesrecht in Bundesrecht noch wesentlich bürokratischer, komplexer und aufwendiger geworden. Die Anerkennungschance hätte sich damit von nahezu unmöglich zu unmöglich geändert. Realistische Möglichkeit: Ausbildung in Deutschland noch mal machen.
Fazit:
- In der Privatwirtschaft mag das mit dem Fachkräftemangel teilweise zutreffen. Zumindest stellen viele Unternehmen Ausländer auch ohne irgendwelche staatliche Anerkennung ein.
- In sämtlichen Berufen, die einer staatlichen Anerkennung benötigen, insbesondere Erzieher, Altenpfleger, Lehrer usw. muss es zwangsläufig in Deutschland einen absoluten Fachkräfteüberschuss geben. Ansonsten ist es nicht nachvollziehbar, warum eine Anerkennung ausländischer Abschlüsse unmöglich ist und Weiterbildungsmaßnahmen fast nicht erhältlich sind und im Umfang einer kompletten deutschen Ausbildung entsprechen.
Oder mit anderen Worten: Alle Politiker, die von einem Fachkräftemangel sprechen, sind ein verlogenes Pack.