@dexter: Worte sind kontextsensitiv, ein Wort kann also sehr unterschiedliche Bedeutungen haben, wenn sich der Kontext unterscheidet. Meist haben diese Bedeutungen etwas gemeinsam, was man als "Essenz" des Wortes bezeichnen könnte. Nehmen wir uns als Beispiel das Wort "Kern": die Bedeutung unterscheidet sich stark, je nachdem ob wir über Prozessoren, über Trauben, Nuklearphysik, die Erde oder
Grammatik reden.
"Slave" hat im Kontext von Computersystemen eine andere Bedeutung wie im Kontext menschlicher Sozialstrukturen. Der Ausdruck wurde gewählt, weil die Essenz des Wortes passt: wer das Wort im Kontext menschlicher Sozioalstrukturen kennt, hat eine Nährung dafür, was in dem Computersystem passiert.
Was wir nun in der Diskussion um den Linuxkernel beobachten ist, dass eine Gruppe von Leuten argumentiert, dass die menschliche Sozialstruktur unmoralisch ist und daher das Wort im Kontext von Computersystemen nicht verwendet werden soll. Diese Argumentation ist haarstreubend idiotisch. Tatsächlich werden Änderungen am Quellcode verlangt, die, wenn sie richtig gemacht werden, keinerlei technische Auswirkung haben. Übertragen wir das ganze zurück, wäre es so, wie wenn ich die Sklaverei abschaffe, indem ich die Sklaven "Arbeiter" nenne und sonst gar nichts ändere. Zurück zum Quellcode: es argumentiert ja niemand ernsthaft dafür die Systemstrukturen so zu ändern, dass die "Slaves" mehr Freiheiten und Rechte bekommen, denn das macht in dem Kontext nicht mal Sinn. Es geht einzig und allein darum, dass bestimmte Wörter nicht mehr genutzt werden dürfen, weil sie in einem Kontext negativ aufgefallen sind. Wichtig ist auch das es "verlangt" wird: die Personen, die dafür argumentieren investieren nicht hunderte Stunden um einen Pull-Request vorzubereiten. Sie wollen, dass andere ihren Code anders schreiben.
Was hat das aber mit dem CoC zu tun? Beim CoC geht es darum die Community rund um den Quellcode zu regulieren, über den Weg der Sprache. Oberflächlich betrachtet ist der CoC erstmal keine schlechte Idee: man einigt sich in einer Art Gesellschaftsvertrag darauf, dass es z.B. unangemessen ist in einer Diskussion über den Linuxkernel die anderen Diskussionsteilnehmer vozuwerfen sie seien "weiß" und "maskulin" und ihre Argumente daher nicht so relevant für die Diskussion, wie die eigenen. Das Problem mit dem CoC ist, dass er genau das Gegenteil von dem bewirkt, was er bewirken soll: er eröffnet einen Nebenkriegsschauplatz auf dem diskutiert wird, ob eine Person an der Community rund um den Kernel teilhaben darf, in der es komplett irrelevant ist, ob diese Person etwas sinnvolles zum Quellcode beiträgt. Tatsächlich sehen die starken Befürworter des CoC dessen Einhaltung sogar als wichtiger an. Das Argument dafür ist, dass eine Community die "open and welcoming" ist leichter neue Leute aufnimmt und daher auch gerne auf langjährige Expertise und Skills verzichten kann, wenn die Person, die diese besitzt, halt dummerweise ein Schandmaul hat. Es muss dabei nicht mal um wirklich unangemessenes Verhalten gehen: die Leute, die viel Zeit und Energie hineinstecken geraten zwangsläufig in eine Position in der sie besondere Aufmerksamkeit bekommen und schon für Kleinigkeiten kritisiert werden, die dann immer weiter eskalieren.
Jeder, der viel Zeit in Internetforen verbracht hat, kennt das Problem sehr gut: User rebellieren gegen Mods, weil sie deren Ausdrucksweise für unangemessen halten. Da schwingt jemand den Bannhammer und schiebt im Affekt noch eine Beleidigung hinterher und dann geht die Diskussion los, ob das für Mods denn angemessen sei. Dabei wird dann gerne ignoriert, was überhaupt zum Bann und zur Affektreaktion geführt hat. Der Vergleich hinkt aber ein wenig, denn ein Mod ist ja in erster Linie für das managen der Community verantwortlich. Sieh dir mal diesen Satz im CoC an:
"Maintainers are responsible for clarifying the standards of acceptable behavior and are expected to take appropriate and fair corrective action in response to any instances of unacceptable behavior."
Es wird ganz konkret gefordert, dass die Personen, die viel Zeit und Energie in die Erhaltung und Erweiterung der Funktionalität von Softwareartefakten investieren auch noch die Community moderieren sollen. Einige Communities können das vielleicht auf verschiedene Personen aufteilen: Alice pflegt den Code, Bob die Community. Wenn Alice jetzt aber ein Schandmaul hat und sich in den Codereviews öfters im Ton vergreift, dann muss Bob Maßnahmen ergreifen, bis hin zum Ausschluss von Alice aus der Community, oder er riskiert seine eigene Position. Das der Code dann vielleicht gar nicht mehr gepflegt wird ist irrelevant, denn, so die Argumentation der SJWs, Alice hätte langfristig mehr Schaden angerichtet, indem sie mit ihrem Schandmaul verhindert, dass sich andere dem Projekt anschließen.
Aus dem CoC folgt nicht direkt, dass Worte wie "Slave" nicht im Quellcode stehen sollen, aber beide Ansätze (Enforcement des CoC und Umbenennung von technischen Dingen) kommen aus der selben soziokulturellen Ecke und folgen dem selben Grundgedanken: Reguliere die Sprache und erziehe so bessere Menschen. Der Trugschluss dahinter ist der absurde Glaube, dass Sozialstrukturen wie Sklaverei nicht mehr auftreten können, wenn die Menschen nicht mehr die Worte haben, um diese zu beschreiben. Dass Personen, die diesem Glauben angehören, Radikale sind, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung gefährden, sollte sich sehr leicht erschließen, wenn man erst mal bemerkt, dass es sich dabei 1-zu-1 um die Umsetzung von "Neusprech" aus Georg Orwells 1984 handelt. Das passiert schleichend und harmlos: Offensichtlich ist eine Diskussion über einen Pull-Request besser, wenn sie mit sachlichen Argumention geführt wird, statt mit eristrischer Dialektik. Es ist ebenso offensichtlich, dass die Community rund um den Linuxkernel Leute nicht wegen Geschlecht oder Hautfarbe ausgrenzen sollte. Das Problem dabei ist aber, dass im Schatten dieser hehren Ziele ein Heer aus Trollen marschiert. Es gibt da ein schönes Beispiel, dass ich leider aus der Erinnerung erzählen muss, weil ich das Video dazu nicht finde: An einer Universität hat eine Gruppe von Studentinnen es geschafft einen Professor (oder Dekan oder so) davon zu überzeugen eine seiner typischen Gesten wäre eine "Microagression", komplett unangemessen und entsprechend des CoC zu unterlassen. Der Mann steht dann am Podium, redet, gestikuliert und macht dabei auch genau diese Geste. Er bemerkt das, was seinen Redefluss stört, und setzt die Hände aufs Podium auf, um dem "Social Contract" nachzukommen. Daraufhin lachen die Studentinnen amüsiert. Was dort passiert ist zeigt sehr deutlich, dass die sinnvoll klingenden Konzepte sehr schnell von Leuten missbraucht werden, die Macht ausüben wollen: es ging nie darum ein offensichtlich inakzeptables Verhalten abzustellen, sondern darum Macht über eine Person auszuüben, über die in der eigentlich sachlichen Dimension der sozialen Strukturen keine Macht besteht. Schauen wir zurück auf Open Source Communities: diese sind oft Meritokratien, die Schlüsselpositionen werden von Personen eingenommen, die sich um diese verdient gemacht haben. Diese stehen, wegen ihrer Position in besonderem öffentlichem Interesse (vergleiche: Mods) und fast immer einer zahlenmäßig deutlich überlegenen Gruppe gegenüber. Zwischen Provokationen und Idioten ist es leicht diese zu reizen, bis sie sich mal im Ton vergreifen, nur um ihnen dann über den CoC eine zu verpassen. Das ist ein extrem destruktiver Prozess, denn die Personen, die am meisten Zeit und Energie hineinstecken werden dadurch verprellt und suchen sich vielleicht ein anderes Hobby.
Das wird aber gerne hingenommen. Wie ich oben schon erwähnte hatte: die Quelle dieses CoC (contributor-covenant.org) sagt sehr offen, dass sie Meritokratien ablehnt und für die Open Source Community gerne soziale Strukturen haben will, in den aus "aufgewendeter Zeit" "technischen Fähigkeiten" "Erfahrung" und ähnlichem keine Hierarchie abgeleitet wird, weil, und ich zitiere wörtlich, das Frauen und Minderheiten benachteiligt. (???)
Es ist eine Form des "Cultur War" der aktuell in allen Teilen der Gesellschaft geführt wird. Ja in der Open Source Gesellschaft sind viele Männern unterwegs. Das ist aber, anders als von den SJWs behauptet, kein Resultat einer patriachalischen Unterdrückung, die man der Open Source Gemeinschaft austreiben muss, sondern schlicht das Ergebnis jahrelanger Arbeit dieser Personen. Die niedrige Frauenquote in den Informatikstudiengängen ist kein Problem der Informatik, es ist ein Problem der Frauen. Diese haben lieber Sozialwissenschaften studiert und fordern nun, dass Open Source Communities "Safe Spaces" werden sollen. Dazu kann ich nur Grace Hopper ("Grandma COBOL") zitieren: “A ship in a harbor is safe, but that is not what a ship is built for.”
Linus zieht sich zurück um "richtiges Verhalten" zu lernen. Was hat er falsch gemacht? Er war schlicht zu unfreundlich um BDFL zu sein.
"Much of what looks like rudeness in hacker circles is not intended to give offense. Rather, it's the product of the direct, cut-through-the-bullshit communications style that is natural to people who are more concerned about solving problems than making others feel warm and fuzzy."
@Dummkopf: danke für die Links, darunter findet sich eine Geschichte, die sehr schön die destruktive Wirkung dieser kulturellen Bewegung zeigt:
LambdaConf, eine kleine LISP-Konferenz, hat das gerade zu spüren bekommen. Die haben, wie das heute üblich ist, eingereichte Papers anonym bewertet und sich für einen fachlich ordentlichen Vortrag entschieden, und – das ist ja die Idee dabei – erst danach erfahren, wen sie da eingeladen haben. Soll jemand sein, der angebliche Nazi-Reden schwingt. (Aber was heißt das schon? Man sieht ja, dass sie das inzwischen einfach jedem vorwerfen.) Social Justice Warrior haben sich beschwert, aber die Konferenzveranstalter wollten den nicht wieder ausladen, weil sie sagten, dass es auf dieser Konferenz nicht um Politik, sondern um Programmieren ginge, und der Vortrag sei halt in Ordnung.
Daraufhin haben die SJW denen die Sponsoren vergrault
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http://www.danisch.de/blog/2016/04/18/code-of-conduct-menschenjagd/