Ihr hättet ruhig mal ausdrücklich besprechen können, was ihr nun überhaupt unter Arbeit versteht. Der anfängliche Versuch, Lohnarbeit von Selbstständigkeit zu unterscheiden, hat ja für das Thema nicht wirklich etwas gebracht: Das Problem besteht für Lohnarbeit wie auch für Selbstständigkeit gleichermaßen. Man darf sich den Blick nicht verstellen lassen durch Ärzte, Anwälte oder Unternehmer, deren Einsatz nicht nur Arbeit, sondern auch Kapital ist. Das Gesamtpaket ist u.U. recht lebenswert, ohne das nötige Kapital jedoch nicht zu haben.
Auf den Vorschlag von Seedy, Arbeit über Zwang und Notwendigkeit (zum Überleben) zu bestimmen, ist außer theSplit bisher noch niemand so recht eingegangen, wobei theSplit Arbeit in ihrem sozialen Zusammenhang sieht und ihren Sinn aus diesem Zusammenhang heraus versteht. Zum Überblick die jeweiligen Stellen aus der Diskussion:
Ich verstehe die Glorifizierung von Zwang nicht.
Ich muss mir jeden Tag die Zähne putzen.
Das macht mir kein Spaß und ich würde lieber was anderes machen.
Ich putze mir die Zähne nur, weil die negativen Effekte noch schlimmer sind.
Es also die Wahl des kleineren Minus.
Zähneputzen ist nicht Sinnstiftend für meine Existenz und ich identifiziere mich nicht durchs Zähneputzen.
Wenn ich durch Zähneputzen keinen Vorteil hätte, würde ich es nicht tun.
Der Vorteil des Zähneputzens besteht bekanntlich darin, dass die Zähne nicht abfaulen, der Körper also erhalten bleibt. Ich finde die Analogie ziemlich treffend, wenn man Arbeit als die für das Überleben notwendige Tätigkeit definiert. Dann ist selbst Zähneputzen Arbeit, Kochen, Essen ... Und: Es bleibt nichts übrig! Am nächsten Tag muss man wieder Zähneputzen, Kochen und Essen; am nächsten Tag muss man wieder arbeiten, sein Leben lang. In diesem Sinn müssen alle Menschen Arbeiten verrichten, außer vielleicht der Prinz aus Zamunda (
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Prinz_aus_Zamunda).
Häufig bleibt aber etwas übrig, wenn man in Deutschland von Arbeit spricht, nämlich ein Teil des Gehalts, Gegenstände, die nicht zum Verbrauch bestimmt sind, und die daher dauerhaft in der Welt existieren und uns das Leben erleichtern. Manchmal ist es sogar möglich, Kapital durch eigene Arbeit zu bilden. In Bezug auf diese historischen Tatsachen kann man sich natürlich fragen, wie weit es führt, in jeder Arbeit lediglich den Bezug auf die Notwendigkeit zu sehen.
Außerdem muss man berücksichtigen, dass die Sphäre dessen, was notwendig zum Überleben ist, eigentlich beliebig erweiterbar ist, wenn man z.B. Statusgüter berücksichtigt. Ohne die richtigen Statusgüter ist das "Überleben" in den jeweiligen Milieus nicht zu leisten, und zwar in allen Milieus. Hier ist es das iPhone, dort ein bestimmtes Auto, Yacht ... Der Wettbewerb um Status ist ein Nullsummenspiel, was den Status anbelangt, und ein Verlustgeschäft, was Zeit und Muße zum guten Leben jenseits von Arbeit anbelangt.
Es gibt allerdings weder meinem Leben einen Sinn, noch würde ich es freiwillig tun, wenn es nicht bezahlt wird.
Es ist am Ende ein Zwang irgendwas tun zu müssen und der Luxus dabei mitsprechen zu dürfen.
Mir kommt es eher wie Stockholmsyndrom.
[...]
Ich hallte diesen "Arbeiter Kult" trotzdem für saumäßigen Bullshit.
Arbeit ist kein Selbstzweck, ich arbeite nicht um zu arbeiten.
[...]
Mein Job mache ich aber nur und ausschließlich für die Erhöhung meines Kontostandes.
Berufsfreiheit ist vor diesem Hintergrund natürlich ein Luxus, und als Massenphänomen nicht besonders alt. Trotzdem ändert die Freiheit, diesen statt jenen Beruf zu ergreifen, nichts an dem Problem, dass womöglich jeder Beruf Arbeit bedeutet. Die Freiheit, unter vielen Möglichkeiten zu wählen, das zu tun, verleiht der eigentlichen Arbeit nicht plötzlich irgendeinen Sinn, den sie nicht haben würde, wenn man sich nicht aus mehreren Alternativen hätte aussuchen können. Das heißt: Es ist möglich, an Arbeit "Spaß" zu haben, irgendeine Befriedigung daran zu finden, und trotzdem muss sie nicht deswegen einen Zweck erfüllen, der über das Überleben hinausgehen würde.
Wenn einem das dann Spaß bereitet - Stockholmsyndrom ist schon recht passend. Dem Menschen bleibt überhaupt keine andere Wahl, als sich mit dem abzufinden, was zu tun ist, um sein Überleben zu sichern. Ansonsten wäre seine Existenz schier unerträglich. Wieder das Zähneputzen: Viele Kinder haben absolute Unlust dabei, müssen es aber tun; später ist es allenfalls noch lästig, oft angenehm. Arbeit ist immer Erziehung zu einem Charakter, der Arbeit erledigen kann und will. Kein Wunder, dass Seedy als Student ohne längere Arbeitserfahrung dieselbe Ablehnung verspürt wie das Kind gegenüber dem Zähneputzen.
Die richtigen Qualen entstehen ausschließlich dort, wo sich Alternativen wenigstens abzeichnen und andeuten. Die stetigen Kontoeingänge z.B., oder das zu erwartende Erbe. Das sind keine Fragen, die sich die meisten Menschen stellen (können), weshalb sie sie auch nicht wirklich verstehen können. Ich sehe im Verhalten des Kindes, sich zu weigern, seine Zähne zu putzen, ja auch nur ein ziemlich unsinniges, geradezu irrationales Gebaren, das durch geeignete Erziehung zu kurieren ist. Nur ist der Kontext nicht derselbe, weil das Kind objektiv Zähneputzen muss, Seedy hingegen vielleicht nicht allzu viel oder nicht allzu bald in seinem Leben arbeiten muss. Zu diesem spezifischen Stockholmsyndrom gehört eben das: Nicht wahrnehmen zu können, dass die eigene Situation, für sein Überleben arbeiten zu müssen, nicht die Situation ist, in der sich andere Menschen befinden.
Ich sehe es kritisch, wenn deine Lebenssinn darin besteht zu arbeiten.
Ich sehe es eher das Arbeit den Zweck verfolgt das Leben zu ermöglich.
Man kann sich auch fragen, was das denn überhaupt für ein "Sinn" sein soll. Es ist kein Wunder, dass einige Menschen ihren Sinn in Gott sehen, wenn sie einen anderen Sinn aufgrund der diesseitigen Mühen und Strapazen weder erkennen noch stiften können. Pervers ist schließlich diejenige Ideologie, die in der "erfolgreichen Arbeit" den Beweis Gottesgnaden sieht. Das hängt uns vermutlich bis heute nach, wobei wir die Sache mit Gottesgnaden vergessen haben und damit den Sinn aus seinem Zusammenhang gerissen haben. Was bleibt, ist die dunkle Hoffnung, Arbeit könnte doch irgendwie Sinn stiften; es war aber nie die Arbeit, sondern Gott.
Natürlich ist es schön wenn du sagst, Arbeit dient allein dem Geld verdienen. Aber damit wirst du nicht glücklich auf Dauer und du machst das falsche.
Arbeit sollte befriedigend sein. Wenn du Abends nach Hause kommst, denkst du vielleicht "das war ein Scheiß Tag, er/die Arbeit war schwer" - aber dann kommt vielleicht auch der Gedanke "dafür hab mich heute nützlich gemacht für XYZ" oder "eigentlich hab ich was für die Gesellschaft getan".
[...]
Nur muss man Arbeit nicht nur als Zweckmittel sehen damit sich einmal im Monat der Kontostand ändert - sondern man sollte auch überzeugt sein, dass das was du tust, richtig ist. Und das gibt in der Regel ein gutes Gefühl - sonst lohnt es sich nicht, es fortzuführen.
Das ist dann gewissermaßen der Gegenentwurf, und ein Stück weit sicher die Antwort auf das Problem, das Seedy ursprünglich hatte. Arbeit "lohnt" sich, weil Menschen durch Arbeit anderen Menschen Gutes tun, mit ihnen zusammen etwas tun, etwas bewegen können, ihre Fähigkeiten ausüben können usw.
Ich frage mich aber, unter welchen Umstände ich es mir überhaupt leisten kann, nicht nur zu arbeiten. Ich frage mich auch, ob ich schon dadurch nicht mehr nur arbeite, dass ich mehr darin sehe als ein Mittel zum Überleben. Wenn ich z.B. unter kapitalistischen Verhältnissen sehe, dass der Mehrwert meiner Arbeit den Kapitaleignern ein gutes Leben ermöglicht - verleiht das jetzt meiner Arbeit schon Sinn?
Also, weshalb arbeiten? Ich glaube, die Frage kann sich überhaupt nicht stellen. Denn diejenigen, die sie stellen, können sie stellen, weil sie nicht arbeiten müssen; gehen sie trotzdem arbeiten, tun sie es aus Freiheit und nicht Notwendigkeit, weshalb sie nicht in dem Sinn arbeiten, den Seedy herausgearbeitet hat. Und denjenigen, die sie nicht stellen, weil sie arbeiten müssen; na ja, denen stellt sie sich ja nicht.
Der Schluss daraus ist: Seedy, wenn du dir schon die Frage stellen kannst, wirst du dein Leben nicht in absoluter Arbeit verbringen, sondern zumindest Freiheit und Notwendigkeit in einer Weise vereinbaren, dass deine Existenz ganz in Ordnung wird. Zähneputzen z.B. musst du auch weiterhin, und vielleicht auch ganz klassisch arbeiten; aber die Tätigkeit wird für dich eine andere sein, weil du sie anders gestalten kannst, wenn du sie nicht dem Überleben unterordnen musst.
PS: Zum Thema "Hilfe, uns geht die Arbeit aus":
http://english.bdi.eu/media/user_up...er_Produktivitaetswachstum_in_Deutschland.pdf Sobald geht sie uns nicht aus, im Gegenteil. Alle hoffen auf "Industrie 4.0", weil es ansonsten zappenduster aussieht in Sachen Produktivitätswachstum.
PPS: Falls jemand mehr zum Arbeitsbegriff lesen will, wie Seedy ihn versteht: Hannah Arendt, Vita Activa (
https://de.wikipedia.org/wiki/Vita_activa_oder_Vom_tätigen_Leben)