Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, mit Sitz in Münster, hat die anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetdaten in Deutschland durch einen Beschluss vom 22. Juni 2017 für rechtwidrig erklärt (Az. 13 B 238/17). Die pauschale Speicherpflicht widerspreche den Anforderungen, die der EuGH bereits aufgestellt habe. Aus Sicht von Experten ist damit die Vorratsdatenspeicherung gescheitert.
Eigentlich wären die Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste genötigt gewesen, ab spätestens 1. Juli 2017 die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung nach §§113a-g des Telekommunikationsgesetzes (TKG) zu erfüllen und umzusetzen und somit die Telefon- und Internetverbindungsdaten aller Bürger zehn Wochen und Standortdaten einen Monat lang zu speichern. Dem Münchener Provider Spacenet ist es aktuell gelungen, dies gerichtlich anzufechten. Mit Unterstützung des IT-Branchenverbands Eco hat das Unternehmen erfolgreich gegen die Vorgaben der Bundesnetzagentur geklagt – was anderen Zugangsanbietern ebenfalls entsprechende Spielräume ermöglichen dürfte. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht allerdings noch aus, da der Beschluss nur das Eilverfahren betraf.
Das Münchener IT-Unternehmen Spacenet erbringt u.a. Internetzugangsleistungen für Geschäftskunden in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten. Es hatte sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an das Verwaltungsgericht Köln gewandt, um der Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung vorläufig bis zur Entscheidung über die gleichzeitig erhobene Klage nicht nachkommen zu müssen. Diesen Antrag hatte das Verwaltungsgericht abgelehnt. Der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberverwaltungsgericht nunmehr jedoch stattgegeben.
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat am 22.06.2017 den ersten Internet-Zugangsanbieter von der Pflicht zur verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung befreit, die zum 1. Juli umgesetzt werden soll. Mit der Begründung, das schwarz-rote Gesetz zur Vorratsspeicherung treffe: „unterschiedslos ohne jede personelle, zeitliche oder geographische Begrenzung nahezu sämtliche Nutzer“ und greife unverhältnismäßig tief in europäische Grundrechte ein. Erforderlich wäre es jedoch laut einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung, dass der Kreis der betroffenen Personen von vornherein auf Fälle beschränkt werden müsse, „bei denen ein zumindest mittelbarer Zusammenhang mit der durch das Gesetz bezweckten Verfolgung schwerer Straftaten bzw. der Abwehr schwerwiegender Gefahren für die öffentliche Sicherheit bestehe“. Dies könne etwa durch personelle, zeitliche oder geographische Kriterien geschehen. Angesichts der „bereits feststehenden objektiv-rechtlichen Unrechtswidrigkeit der Speicherpflicht“ bestehe „schon im Ausgangspunkt keine legitimen öffentlichen Interessen an einem vorläufigen Vollzug“ des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung.
Gemäß dem Urteil des Gerichtshofs könne die anlasslose Speicherung von Daten insbesondere nicht dadurch kompensiert werden, dass die Behörden nur zum Zweck der Verfolgung schwerer Straftaten bzw. der Abwehr schwerwiegender Gefahren Zugang zu den gespeicherten Daten erhielten und strenge Maßnahmen zum Schutz der gespeicherten Daten vor Missbrauch ergriffen würden. Der OVG-Beschluss ist nicht anfechtbar. Ein Gang zum Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren bleibt aber möglich und das könnte letztlich bis zum Europäischen Gerichtshof gebracht werden.
Wenngleich diese Entscheidung zwar (zunächst) nur für das IT-Unternehmen aus München gilt, sendet der Beschluss nach Einschätzung der Grünen und mehrerer Datenschützer ein Signal von viel größerer Tragweite aus. So meinte Vize-Chef der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, gegenüber dem Handelsblatt: „Das Gesetz muss wegen der gravierenden Rechtsunsicherheit, seiner hohen Risiken für die Grundrechte der Bürger und die Kosten für die Unternehmen sofort gestoppt werden. Die Große Koalition ist vorsätzlich in diese Blamage reingelaufen.“ Mit Blick auf das am gestrigen Donnerstag verabschiedete „Staatstrojaner“-Gesetz fügte er hinzu: „Die Grundrechte werden leider im Wochentakt von der Großen Koalition durch immer neue Gesetze geschliffen.“ Da komme das Bundesverfassungsgericht kaum dagegen an.
Jan Philipp Albrecht, stellvertretender Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses und innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, wertet die Münsteraner Entscheidung als „Meilenstein“ in der Durchsetzung des EU-Grundrechts auf Datenschutz. Dass nun auch höchste Gerichte in Deutschland auf das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen das anlasslose Protokollieren von Nutzerspuren verwiesen, „sollte die Bundesregierung unmittelbar veranlassen, das Gesetz zurückzunehmen“. „Außerdem ist die EU-Kommission aufgefordert“, so Albrecht weiter, „das deutliche Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegenüber den Mitgliedstaaten per Vertragsverletzungsverfahren umgehend durchzusetzen.“
Andere Provider müssten nun versuchen, mit einem Eilverfahren aktuell selbst gegen die Datenspeicherung zu klagen. Das gilt jedoch nicht für die Deutsche Telekom, die bereits im Mai vor dem Verwaltungsgericht Köln geklagt hatte, um die Speicherung von öffentlichen IP-Adressen bei Mobilfunk- oder WLAN-Nutzern zu vermeiden. Mit der Begründung, weil eine öffentliche IPv4-Adresse durch die sogenannte Network Address Translation (NAT) sehr vielen Nutzern zugeordnet werden könnten, sei eine Speicherung der Daten für die Ermittlungsbehörden nutzlos. Daher will der Provider erforderliche Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe vermeiden.
Oliver Süme, eco Vorstand Politik & Recht, meint: „Das Oberverwaltungsgericht hat ausdrücklich ausgeführt, dass die Vorrats*daten*speicherung generell europa*rechts*widrig ist. Jetzt sollte die Bundesnetz*agentur gegenüber allen Telekommunikationsunternehmen klarstellen, dass sie die Daten nicht speichern müssen, bis über die Klage endgültig entschieden ist. […] Jetzt ist es an der Zeit für eine Grundsatzentscheidung, um die Vorratsdatenspeicherung endgültig zu stoppen. Andernfalls laufen die Unternehmen Gefahr, ein europarechts- und verfassungswidriges Gesetz umsetzen zu müssen und damit Gelder in Millionenhöhe in den Sand zu setzen.“, meint er weiter.
Auch für den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung steht fest, dass „schon im Ausgangspunkt keine legitimen öffentlichen Interessen an einem vorläufigen Vollzug“ des umstrittenen Gesetzes bestünden. In einem Appell fordern sie alle Telefon-, Mobilfunk- und Internetanbieter auf, Klage einzureichen und das Überwachungsmonster Vorratsdatenspeicherung nicht umzusetzen“.
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https://tarnkappe.info/nicht-eu-konform-steht-die-vorratsdatenspeicherung-vor-dem-aus/Quelle
Autor: Antonia
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