Re: Mindestanforderungen für Gymnasium (ab der 4. in Bayern) sollen abgeschafft werde
An einen Satz meines damaligen Klassenlehrers kann ich mich noch genau erinnern: "Wer einfach dabei bleibt, bekommt das Abitur hier fast geschenkt." (in Baden-Württemberg)
Und so ist es: Wer die Unterstufe übersteht, muss sich schon anstrengen, am Ende nicht auch das Abitur zu bekommen. Wer keinen Schnitt erreichen will, der deutlich jenseits seiner "natürlichen" Fähigkeiten liegt, kann sich so einige Faulheit erlauben, d.h. ein gutes Leben führen, Freizeit, Sport, Freunde, Zocken, Hobbys.
Das gilt gerade für die Jahrgangsstufen 10 bis 12 bzw. 13 und ist daher besonders ungerecht im Vergleich zu den Altersgenossen, die in derselben Zeit ihre Ausbildung beginnen, nachdem ihnen vorher schön eingeredet wurde, dass sie gerade so und mit viel Glück nicht arbeitslos werden, solange sie sich jetzt ganz besonders anstrengen. Dann heißt es, jeden Tag entweder auf die Arbeit zu gehen oder in die Berufsschule, deutlich weniger Ferien zu haben, dafür aber Chefs, die einen (schon aufgrund des Alters) nicht wirklich achten. Hingegen genügt irgendein 2,X-Schnitt im Abitur, um eine riesige Auswahl an Universitäten und Studienfächern zu haben.
Während die einen dann nach Australien gehen, sich eine Auszeit nehmen oder ganz langsam mit dem Studium beginnen, hoffen die anderen darauf, dass ihre Abschlussnoten ausreichen, um von ihrem Betrieb übernommen zu werden. Das Netto-Einkommen in den folgenden Jahren liegt vermutlich auch nicht so weit auseinander; der Abstand verringert sich nochmals, wenn man die Vergünstigungen für Studenten berücksichtigt. Dafür gibt es 5 Monate Ferien im Jahr, solange man keine Naturwissenschaft oder ein anderes Praktikum-Fach studiert.
Der Eintritt in den "Ernst des Lebens" verzögert sich auf diese Weise um 6 bis 10 Jahre. Das allein ist schon von ungeheuer großem Wert. Es geht da weniger um die Wirklichkeit der regelmäßigen Wahl eines solchen entspannten Lebenswegs, sondern eher um deren Möglichkeit. Wer das Abitur nicht macht, hat diese Möglichkeit nicht. Alle anderen können sich dafür entscheiden, ein paar Jahre ein sehr entspanntes Leben zu führen, ohne sich damit die Zukunft zu verbauen. Im Gegenteil! Dagegen hilft es auch nicht, das Abitur nach der Ausbildung nachzuholen. Man ist dann schon längst im Stress und Druck. Ich habe das in meinem Umfeld beobachtet: Das bedeutet offenbar wirklich Arbeit!
Unsere Gesellschaft hat die Institution Studium eingerichtet, weil sie kaputt geht, wenn sich alle Menschen frühzeitig kaputt machen. Abitur und Studium bilden einen anerkannten Weg, etwas später erwachsen zu werden und weitgehend frei von äußeren Zwängen zu tun und lassen, was man will. Es ist ja abzusehen, dass diese Leute der Gesellschaft später nicht auf der Tasche liegen werden. Ich kann jeden verstehen, der seine Kinder hier unterbringen will. Wobei die Pointe ja darin besteht, dass die Eltern kaum den Weg dafür bereiten wollen, dass ihre Kinder es später ruhig angehen lassen können. Da herrscht wohl eher Paranoia und man kann nur hoffen, dass die Kinder irgendwann in der 10. oder 11. Klasse merken, dass Schule und Studium auch mit 25 % Leistung funktionieren.