• Hallo liebe Userinnen und User,

    nach bereits längeren Planungen und Vorbereitungen sind wir nun von vBulletin auf Xenforo umgestiegen. Die Umstellung musste leider aufgrund der Serverprobleme der letzten Tage notgedrungen vorverlegt werden. Das neue Forum ist soweit voll funktionsfähig, allerdings sind noch nicht alle der gewohnten Funktionen vorhanden. Nach Möglichkeit werden wir sie in den nächsten Wochen nachrüsten. Dafür sollte es nun einige der Probleme lösen, die wir in den letzten Tagen, Wochen und Monaten hatten. Auch der Server ist nun potenter als bei unserem alten Hoster, wodurch wir nun langfristig den Tank mit Bytes vollgetankt haben.

    Anfangs mag die neue Boardsoftware etwas ungewohnt sein, aber man findet sich recht schnell ein. Wir wissen, dass ihr alle Gewohnheitstiere seid, aber gebt dem neuen Board eine Chance.
    Sollte etwas der neuen oder auch gewohnten Funktionen unklar sein, könnt ihr den "Wo issn da der Button zu"-Thread im Feedback nutzen. Bugs meldet ihr bitte im Bugtracker, es wird sicher welche geben die uns noch nicht aufgefallen sind. Ich werde das dann versuchen, halbwegs im Startbeitrag übersichtlich zu halten, was an Arbeit noch aussteht.

    Neu ist, dass die Boardsoftware deutlich besser für Mobiltelefone und diverse Endgeräte geeignet ist und nun auch im mobilen Style alle Funktionen verfügbar sind. Am Desktop findet ihr oben rechts sowohl den Umschalter zwischen hellem und dunklem Style. Am Handy ist der Hell-/Dunkelschalter am Ende der Seite. Damit sollte zukünftig jeder sein Board so konfigurieren können, wie es ihm am liebsten ist.


    Die restlichen Funktionen sollten eigentlich soweit wie gewohnt funktionieren. Einfach mal ein wenig damit spielen oder bei Unklarheiten im Thread nachfragen. Viel Spaß im ngb 2.0.

Mein Hafttagebuch

BeSure

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Kapitel 24 - Traumjob: Reiniger

Mein Geständnis hatte bereits die Runden gemacht und überall waren nur Gelächter zu hören: „Emre Du bist so dumm, die Bullen werden Dich ficken.“ war eine Standardaussage meiner Mithäftlinge. Sie schüttelten ihre Köpfe, wenn sie mich sahen, für einige Tage war ich der dumme kleine Häftling dessen Schicksal besiegelt war. „Das war schon dumm von Dir Emre, wenigstens dein Passwort hättest Du nicht rausgeben sollen.“ meinte Taylan. Ich fühlte mich sehr mies, tagelang schwirren unwohle Gedanken durch meinen Kopf, nachts konnte ich nicht schlafen. „Taylan, eigentlich habe ich das nur gemacht, weil ich gehofft habe, dass mein Bruder entlassen wird.“ Ich versuchte zu begründen, weshalb ich gestanden hatte, welches in seinen Augen ein Fehler war. „Sei einfach froh, dass Dich die Leute nicht fertigmachen, weil Du mit Bullen kooperierst und weil Du niemanden verraten hast. Und ich hoffe für Dich, dass dein Bruder rauskommt, denn damit hast Du recht, als älterer Bruder hast Du die Verantwortung für ihn zu tragen. Soweit ich verstanden habe ist er auch nur wegen Dir in dieser Sache verwickelt.“ Obwohl mich die Aussage aufmuntern sollte verursachte sie ein unwohles Gefühl in mir, mittlerweile hoffte ich nicht nur, dass sie meinen Bruder entlassen würden, sondern auch nicht auf den dritten Mittäter kommen würden.

Die Tage vergingen, meine Eltern besuchten mich wöchentlich, mal kamen beide Elternteile, mal nur einer meiner Eltern, doch im Endeffekt waren es nur die Beiden die mich besuchten. Meine Schwester durfte wohl nicht: „Sie soll Dich nicht in diesem Zustand sehen.“ sagte mein Vater, dachte wohl meine Schwester sei nicht alt genug um das selbst zu entscheiden, immerhin war sie mein Zwilling. Auf meinem Besuchszettel den ich bekam standen immer beide Namen meiner Eltern drauf, allerdings war das wie ein Glücksspiel: Kam ich in den Besucherraum rein und meine Mutter war alleine da, war ich überglücklich, war mein Vater da, versetzte ich mich schon in eine deprimierende Gefühlslage, waren beide da, hatte meist mein Vater das Wort, meine Mutter und ich waren nur stille Zuhörer. Es war manchmal lustig anzuhören wie mein Vater versuchte mir ein schlechtes Gewissen, welches ich ohnehin hatte, einzureden. Da er das aber aufgrund der akustischen und optischen Besuchsüberwachung auf deutsch sagen musste, war mir meist zu Lachen zu mute. Mein Vater war wie der böse Bulle und meine Mutter der gute Bulle. Mein Vater kotzte sich bei mir aus, und ich kotzte mich bei meiner Mutter aus. „Erzähl deiner Mutter nicht, dass es Dir hier schlecht geht, wir schauen doch nach Dir, mach sie nicht traurig, erzähl ihr gute Sachen, dass Du hier Freunde hast usw.“ riet mir Savas jedes Mal vor meinem Besuch. Dies tat ich auch: „Savas Abi, ich erzähl ihr die ganze Zeit, dass es mir gut geht. Aber mitten im Gespräch beschwere ich mich dann über meinen Vater. Das war früher so und ist auch heute so. Meine Mutter muss sich von mir leider viel anhören in Bezug auf meinen Vater. Er kommt einfach, macht mich fertig und dann bin ich in der Zelle und zerbrich mir den Kopf. Wenn ich mich bei meiner Mutter nicht über meinen Vater beschwere, dann fällt mir das auch schwer in Ruhe zu schlafen. Meine Mutter weiß schon seit Jahren, dass ich mich mit meinem Vater nicht verstehe. Ich denke sie ist trotzdem froh, wenn mein einziges Problem mein Vater ist und nicht irgendwelche anderen Häftlinge.“

Das schönste Gefühl waren immer noch die Briefe, bunt bemalt, verziert mit Blümchen, Schmetterlingen und alles was noch so ein kleines Kind an Fantasiekraft hatte, es waren die Briefe meiner kleinen Schwester, ich vermisste sie von Tag zu Tag immer mehr. „Vor einigen Tagen kam deine kleine Schwester in die Küche als ich am Kochen war und hat einfach angefangen zu weinen. Als ich fragte was denn los sei, meinte sie „Ich habe Emre Abi vermisst, wo ist er? Warum kommt er nicht?“ und sie tupfte ihre Tränen an meinem Kleid ab. Sie liebt Dich sehr Emre, du hast Dich mit ihr immer am besten verstanden, du bist mit ihr so oft ausgegangen wie kein anderer Bruder es in deinem Alter tun würde. Du bist ein guter Sohn und Bruder.“ Meine Mutter fing wieder an zu weinen, als sie mir dies im Besucherraum erzählte. Jedes Mal trafen ihre Worte direkt mein Herz, die Wärme die ich verspürte, wenn sie in meiner Nähe war, war unbeschreiblich, ich hatte Sehnsucht nach ihr, auch wenn sie vor mir im Besucherraum saß. Denn ich wusste, nach einer halben Stunde war dieser traumartige Besuch vorbei. Ich war der Inbegriff eines Muttersöhnchens. Ich redete, meine Mutter hörte mir zu, meine Mutter redete, ich unterbrach sie um selber reden zu können, das war meist unbewusst. Nach meinem Besuch stellte ich immer fest, dass ich soviel erzählt hatte, aber von meiner Mutter nie etwas mitbekommen hatte, weil ich sie so selten reden lies. „Mama ich lass Dich nie viel reden, das tut mir echt leid, ich habe aber ein großes Bedürfnis Dir so viel zu erzählen.“ Meine Mutter, mit ihrem Engelslächeln meinte immer, dass sie mir gerne zuhört.

Von meinem Vater bekam ich mit, dass mein Bruder bald einen Termin mit denselben Beamten hätte, er müsse auch aussagen. Danach würden sie eine Haftbeschwerde einlegen, damit er entlassen wird. Ich freute mich darauf wie ein kleines Kind auf Weihnachten. Von meinem Anwalt war aber kein Wort zu hören, kein Brief, kein Anruf, kein Besuch.

In der Tat war ich der Meinung, dass Häftlinge nur auf stress aus sind und tagtäglich Schlägereien in Höfen stattfinden, aber das war zum Glück nicht der Fall. Jeder wollte nur seine Ruhe, solang sich keiner aufspielen wollte, hatte alles einen schönen geregelten Ablauf. Es schien so, als würde in der Haft alles mit rechten Dingen zugehen, doch ich war blind: „Hey Emre, ich werde morgen entlassen, ich hab’ einen Gerichtstermin.“ sagte der rumänische Reiniger, mit dem ich mich richtig gut verstand. „Woher weißt Du, dass Du entlassen wirst?“ fragte ich verwundert. „Du, ich hab’ nur was geklaut, weil ich Rumäne bin haben die mich einfach reingesteckt, das war klar, dass ich nur bis zur Verhandlung sitzen muss. Die dachten sonst, dass ich nach Rumänien fliehe.“ Ich teilte mit, dass ich mich für ihn freue, er wünschte mir auch eine baldige Entlassung: „Du die brauchen einen neuen Reiniger und ich hab’ gedacht ich schlag Dich vor, Du passt am besten zu der Stelle.“ Ich war eigentlich zufrieden mit meiner Einzelzelle und dass ich nicht arbeiten musste, denn ich hatte keine Lust wieder wie beim letzten Mal irgendetwas transportieren zu müssen, dennoch wusste ich nicht was mich als Reiniger erwartet und fragte nach was denn ein Reiniger ist. „Achso Du weißt das gar nicht? Das ist der beste Job in der Haft. Deine Tür ist den ganzen Tag offen, du kannst im Flur rumlaufen und kannst auch zu fast jeder Sportveranstaltung, also zum Fußball für Arbeiter und auch für Nichtarbeiter. Du musst nur morgens bisschen putzen, dann Essen verteilen und Wäsche waschen. Das ist aber eine Vertrauensposition, also Du hast Zutritt zu den ganzen Kammern usw.“ Mein Gesicht strahlte vor Glück: „Meine Tür ist den ganzen Tag geöffnet?“ Dafür hätte ich wirklich jeden Job angenommen. Als er mir am Abend während der Freizeit ganz genau erklärte was ich zu tun habe, gefiel mir der Job als Reiniger immer mehr. „Können wir direkt zum Beamten gehen und fragen, ob ich dann morgen Reiniger sein darf?“ fragte ich kurz vor dem Einschluss. „Ich erledige das morgen, keine Angst.“ versicherte es mir der Rumäne.

In dieser Nacht schlief ich sehr gut, mein Herz pochte vor Glück, meine Tür wäre den ganzen Tag offen, besser ging es wohl kaum. Doch am nächsten Tag hörte ich nichts von irgendjemandem was den Reinigerposten anging, den Tag danach auch nicht und auch am dritten Tag war der Reinigerposten unbesetzt. „Jeder will Reiniger werden, ich auch Emre, ich glaub kaum, dass die dich nehmen, weil die dich nicht kennen, du bist noch zu neu“ teilte mir Taylan im Hofgang mit. „Aber Du bist doch bestimmt auch bald weg, das würde sich doch gar nicht lohnen, wenn Du Reiniger bist?“ fragte ich ihn. „Haha, ich bin noch lange hier, glaub mir. Außerdem kennen die mich schon sehr gut.“ Meiner Meinung nach lag er falsch, denn er war seit knapp einem Jahr hier, warum war er nicht längst Reiniger geworden?

Dann am vierten Tag die glückliche Nachricht. Ich war gerade dabei mein Gesicht zu waschen, da öffnete sich meine Zellentür und mein Lieblingsbeamte stand vor der Tür, Herr Nil: „So Herr Ates, wie wär’s wenn die Tür ab jetzt offenbleibt?“ Ich wusste, dass das das Codewort für „Sie sind jetzt Reiniger“ war. Ich war sehr glücklich: „Herr Nil, kann die Tür noch für 10 Minuten geschlossen bleiben?“ er sah mich verwundert an: „Ich muss was erledigen“. Er lachte und schloss die Tür ab.

Was ich bis dahin nicht wusste war, dass man als Reiniger einen guten Draht zu den Justizbeamten aufbauen konnte und dies von Vorteil sein konnte. Doch alles Gute hatte auch eine schlechte Seite an sich. Der Reiniger hatte tatsächlich eine gewisse Vertrauensstellung bei den Beamten, man befand sich als Reiniger immer zwischen beiden Fronten, zwischen Häftlingen und Beamten. Der Job als Reiniger war das Beste was mir in der Haft passieren konnte, doch anfangs gab es Probleme mit Mithäftlingen. Irgendwann fragte ich mich, ob unsere Türken extra dafür gesorgt hatten, dass mal wieder ein Türke Reiniger wird. Denn man hatte tatsächlich einen seiner eigenen Leute in einer gewissen Machtstellung. Auch wenn sich das wie aus einem Film anhört, unsere Türken profitierten am Meisten von meiner Stellung als Reiniger. Ich habe meine Vertrauensposition einige Male missbraucht.
 

Doc Lion

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Mal nachgefragt @ BeSure:

Hat dich die Haft geläutert, sprich, hast du deine Einstellung dauerhaft geändert?
Immerhin hattest du noch einen greifbaren Zeithoriziont für die Haftdauer.

Interessant sind die Verhältnisse in diesem sozialen Mikrokosmos einer Haftanstalt sicherlich. Aber die fast epische Breite deines Hafttagebuchs ist mir persönlich zu weitschweifig. Ist halt meine subjektive Sicht, mehr nicht.
 

BeSure

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@Doc Lion

Sorry, ich hab' leider nicht verstanden was Du meinst, dein Deutsch ist einfach zu hoch für mich :D
Aber die Frage kann ich beantworten:
In der Haft habe ich von einer Stunde auf die nächste meine Meinung/Einstellung geändert. Oft war es z.B. so, dass ich mich rächen wollte an der Justiz und vor hatte, wenn ich entlassen werde, den Mist den ich gebaut habe in einem noch größeren Maß zu wiederholen, dann ne gewisse Zeit später war der Gedanke verschwunden und ich wollte meine Taten wieder gut machen, dachte sogar ein ehrenamtliche Tätigkeiten nach usw.

Ich hoffe, ich konnte damit deine Frage beantworten, sollte ich sie denn richtig verstanden haben.
Was deine restlichen Aussagen angeht habe ich das wirklich einfach von meinem Deutsch her nicht verstanden. Aber ich bin stark daran interessiert was Du mir sagen möchtest, könntest Du das so formulieren, dass ich das auch verstehe? :P
 

cokeZ

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@BeSure: Uebersetzt heissts: Er findet es interessant, was in der eigenen kleinen Welt im Knast so abgeht, aber deine Erzaehlungen zu weit ausgeholt findet.

Desweiteren moechte er wissen ob der Knast dich "geheilt" hat, du also einsichtig bist und so einen Scheiss nicht nochmal abziehst.
 

Seedy

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Aber die fast epische Breite deines Hafttagebuchs ist mir persönlich zu weitschweifig. Ist halt meine subjektive Sicht, mehr nicht.
Hmm..
Ich will zwar auch endlich wissen wie es konkret weiter geht, jedoch finde ich die Beschreibungen drumherum und die persönliche Erfahrung ziemlich interessant. :unknown:
 

KaPiTN

♪♪♫ wild at heart ♪♫♫♪

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Das paßt schon so. Die Intention eines Tagesbuches ist die Subjektive Aufzeichnung und Selbstreflektion.
Wer eine Kurzanleitung erwartet, für Dinge, die man bei Verbrechen und Haft unterlassen sollte, der ist hier falsch.
 

BeSure

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Ah danke Leute, jetzt habe ich es auch verstanden :)

Ja ich schreib gerne meine Gedankengänge, Gefühle usw. auf. Denn ich kann es nicht oft genug wiederholen, für mich ist das Hafttagebuch wie eine kleine persönliche Therapie (wenn man es denn so nennen mag) und ich will in 10 Jahren gerne wissen, wie ich mit 23 Jahren in der Haft getickt habe. Ich merke heute schon, dass ich einige Gedanken und Gefühle die ich in der Haft hatte nicht mehr verstehen kann.

Und nein, natürlich werde ich keine Scheiße mehr bauen :)
 

Doc Lion

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Und nein, natürlich werde ich keine Scheiße mehr bauen :)

Schön, das zu lesen, finde ich auch gut von dir. Du bist noch jung und hast eine lohnenswerte Zukunft vor dir. Alles Gute soweit von mir an dich. :T


P.S.
Mit meinem 'Deutsch' wollte ich dich nicht vorführen oder so.
Ich bin halt schon älter, als die Generation 'WhatsApp'.


Wie gesagt, ich kritisiere dein Hafttagebuch nicht und wenn es dir gut tut, hast du dein Ziel damit erreicht.
Nur mir persönlich ist es eben zu ausführlich. Aber das macht ja nichts. ;)
 

T_Low_Benz

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@BeSure:
Reicht jetzt wieder mit warten lassen :P

LG

Ps: Bin zu Blöd zum erwähnen oder es geht am Handy nicht
 

BeSure

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Kapitel 25 - Die Justizbeamten: Herr Winter

Für mich vollkommen ungewohnt, ging meine Zellentür um 5:00 Uhr morgens auf, ein kurzes „Morgen“ war zu hören und ein leichter Windzug strich über mein Gesicht. Ich stand auf und wusste erst nicht, was zu tun ist. Seit gestern hatte ich den Job als Reiniger inne, dennoch hatte ich gestern nichts gemacht, außer zuzusehen, zudem war das mein erster Morgen als Reiniger. Ich machte mich frisch und zog mich an. Als ich die Schwelle der Zellentür überschritt, spürte ich eine innere Unruhe, es fühlte sich falsch an, die Zelle zu verlassen. Nur zögerlich verließ ich die Zelle und stand im Flur. Es war keiner zu sehen, nicht einmal ein Justizbeamter. Noch zwei andere Türen waren geöffnet, die Zellentür vom kroatischen Reiniger Anton und jene des deutschen, Marcel. Der Anton war etwas älter, um die 40 schätzte ich ihn, er hatte also das Sagen. Dennoch war er wie ein Mentor für mich, ich verbrachte die nächsten Monate viel Zeit mit ihm, er erzählte mir, wie die Dinge abliefen, auf was man als Reiniger achten musste und auch, weswegen er saß: 'Immobilienbetrug'. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen, auch seine Erklärung habe ich nicht mehr ganz in Erinnerung. Meiner Meinung nach saß er wegen etwas anderem. Dennoch könnte es in Richtung Betrug gewesen sein. Als Gewalttäter oder Drogendealer hatte man schlechte Karten, je Reiniger zu werden, wohingegen Betrüger, meist Richtung Steuerbetrug, für den Reinigerposten bevorzugt wurden. Der Marcel sah für mich nicht wie ein Betrüger aus, er sah für mich auch nicht wie ein Gewalttäter oder Drogendealer aus, in meinen Augen sah er einfach unschuldig aus. Ich fragte mich stets, wie so ein Musterdeutscher nur in die Haft kommen konnte. Er hatte mit Drogen gedealt, und das wohl mit etwas größeren Mengen, aber ausschließlich Gras - meinte er zumindest. Als ich ihm erzählte, weshalb ich saß, kam ihm das Lachen: „Bist Du Tickethall.de?“ fragte er grinsend, und wartete seltsamerweise darauf, dass ich ihm antwortete.

Nun stand ich da im Flur und sah, wie Marcel aus der Zelle kam und in einen kleinen Abstellraum ging. Ich begab mich zu ihm und bemerkte, dass sich auf einem Rollwagen ein großer Teekessel befand. Er packte noch Teebeutel auf den Rollwagen und ein Paket an Formularen/Anträgen. Anton war inzwischen auch da und drückte mir eine Rolle von gelben Säcken in die Hand. Nach einigen Minuten kam dann der Beamte. Herr Winter war sein Name: „Sind Sie der Neue?“, fragte er mich. Ich bejahte und dann ging’s los: Er öffnete die erste Zellentür, ging hinein, sah nach, ob alle noch lebten, fragte, ob sie was brauchten und befahl ihnen, den Müll rauszubringen. Einer von den Zellenbewohnern sprang aus dem Bett und brachte einen vollen Müllsack, den er in meinen gelben Sack werfen wollte: „Was tun Sie da? Das ist nicht getrennt! Plastik kommt in den gelben Sack, kein Biomüll! Bis morgen ist das getrennt!“. Herr Winter schickte den Häftling wieder mit dem Müllbeutel in seine Zelle. Dieser schien angepisst zu sein, aber im Moment war ihm wohl der Schlaf wichtiger. Wir liefen von Zellentür zu Zellentür, überall schliefen die Häftlinge noch tief und fest. Manchmal kam ein strenger Geruch aus der Zelle, manchmal roch es frisch und bei einer Zellentür duftete es nach Pfefferminz. Aus dieser Zellentür kam ein alter Mann raus, ziemlich dürr, Haare lang und zerstreut, er hatte etwas Albert-Einstein-mäßiges an sich. Seine ruckartigen Bewegungen schienen Herrn Winter in keinster Weise zu interessieren, der Alte ging zu Anton und verlangte nach zwei Packungen Pfefferminztee. Seltsamerweise nahm er sich aber kein heißes Wasser mit. „Frank, rauchst Du die Dinger schon wieder?“, rief Anton dem alten Häftling hinterher, als Herr Winter grinsend die Tür schloss. „Der hat lebenslänglich bekommen, ist aber in Revision“ teilte mir Marcel mit, „er hat sogar lebenslänglich mit SV“. „Was heisst SV?“ wollte ich wissen. „Sicherheitsverwahrung ist das.“ Bis heute weiß ich allerdings nicht, welche Nachteile genau eine Sicherheitsverwahrung mit sich bringt. Ich weiß nur, dass lediglich Schwerverbrecher solche Strafen bekommen. Bei dem alten Mann handelte es sich um einen Mörder, wie ich später erfuhr.

Als alle fast vier Dutzend Zellen abgeklappert waren, und ich mittlerweile zwei volle Gelbe Säcke mit mir trug, gingen die zwei anderen Reiniger in ihre Zellen. Anton rief mich zu sich, er hatte heißes Wasser aufgesetzt und bot mir eine Tasse Kaffee an: „Ich trinke keinen Kaffee, das schmeckt eklig, wie könnt ihr nur sowas trinken?“ Anton lachte: „Haha, ach das kommt noch mit der Zeit, soll ich Dir Kakao machen?“. Ich nahm den kalten Kakao dankend an.

In den nächsten Jahren sollte mir noch auffallen, dass ich wohl laktoseintolerant geworden war. Zudem - und ironischerweise zeitgleich mit dem Beginn der Laktoseintoleranz - gewöhnte ich mich langsam an den Geschmack von Kaffee und kann heutzutage keinen Tag mehr ohne eine Tasse davon verstreichen lassen. Wir unterhielten uns etwa bis nach einer halben Stunde die Durchsage kam, dass sich die Arbeiter bereit machen sollten. Um 6:30 Uhr wurde es dann laut im Gang: Ein Beamter öffnete eine Zellentür nach der anderen, ein zweiter Beamter schloss die Zellentüren hinter ihm wieder ab, nachdem sich die Arbeiter-Häftlinge aus der Zelle begeben hatten. Nicht einmal die Hälfte der Häftlinge ging arbeiten, der Rest lag noch im Bett. „In der Strafhaft muss man arbeiten gehen, man hat keine Wahl. In der U-Haft steht es einem aber frei, ob man das möchte", klärte mich Marcel auf, während wir uns im Flur aufhielten und darauf warteten, dass die Arbeiter zum Innenhof geführt wurden. Wir nahmen die vollen blauen und gelben Müllsäcke mit und begaben uns mit den Arbeitern in den Innenhof. Es fühlte sich sehr gut an, einfach durch die Türen zu marschieren, und die sanfte Brise im Morgengrauen auf der Haut zu spüren. Auch die Enten im Teich hatten irgendwie eine angenehme Wirkung.

Als ich mich wieder oben im Gang befand und Herr Winter hinter uns die Tür zum Innenhof aufschloss, machte er eine Fingerbewegung: „Mitkommen ins Büro“. Wenn es etwas gab, was man als Reiniger lernte, dann war es, Befehlen von Beamten sofort Folge zu leisten. Ich folgte ihm ins Büro, das Licht war aus, Herr Winter setzte sich an seinen Schreibtisch und schaltete seinen Computerbildschirm ein. Es verging fast eine halbe Minute in Stille, als er nach dem ganzen Rumgeklicke endlich ein Wort von sich gab: „Wissen Sie, wer Sie zum Reiniger ernannt hat?“. Die Frage schien ernst gemeint zu sein. „Ähm, nein, ich weiß nur, dass Herr Nil gekommen ist und gesagt hat, dass ich Reiniger bin.“ Herr Winter sah mich gar nicht an, klickte noch ein wenig weiter, gab ein kleines „aha“ von sich. Dann stand er auf und kam in meine Richtung: „Also Herr Ates, Sie haben Glück, dass Sie Reiniger geworden sind. Missbrauchen Sie unser Vertrauen nicht. Damit das klar ist, in diesem Stockwerk habe ich das Sagen.“ Er grinste dabei, irgendwie wirkte er auch vom Aussehen her wie Clint Eastwood für mich. Ich dachte mir nur: „Was für ein Film läuft denn bei dem?“

Ich machte mich direkt an meine Arbeit. Anton und Marcel lernten mich ein, es war einfach: Der Gang musste gefegt und gewischt werden. Die Küchenzeile musste geputzt und desinfiziert werden. Die gesammelte Wäsche (heute gab es keine) musste in der Waschmaschine gewaschen werden. Die Freizeiträume mussten aufgeräumt werden, und dann gab’s einige Stunden Ruhe bis zur Mittagspause, vorausgesetzt, der sich aktuell im Dienst befindende Beamte hatte keine weiteren Aufgaben. Nachdem das Mittagessen verteilt und das Geschirr anschließend wieder eingesammelt worden war, gab es meist ein Mittagschläfchen für uns Reiniger, anschließend wurde das Abendessen schon um 17:00 Uhr wieder ausgegeben und dann war schon Feierabend angesagt. Außer mittwochs, da gab es Wäschetausch. Die Arbeiter durften ihre Arbeitsklamotten wechseln und auch Häftlinge ohne Privatkleidung hatten die Möglichkeit, frische Wäsche zu bekommen. Das war eine ziemlich eklige Angelegenheit. Obwohl ich Handschuhe besaß, wollte ich die Wäsche (meist auch noch Unterwäsche) nicht ansehen, oder gar anfassen. Vom Gestank kam mir das Kotzen, denn wir mussten immer die Anzahl der zurückgegebenen Wäsche zählen und dann in einen Sack packen. Die Häftlinge, die in der Wäschekammer arbeiteten, taten mir jedes Mal auf’s neue Leid.

Meine Türken schmiedeten wohl schon die ersten Pläne, was sie Schönes mit meiner Hilfe und Stellung als Reiniger anstellen könnten, denn sie verhielten sich besser als gewohnt zu mir. Ich begriff, dass man sich als Reiniger einiges gegenüber anderen Häftlingen erlauben konnte, denn diese wollten diesen lieber als Freund statt Feind haben. Einmal, da war ich schon seit zwei Wochen als Reiniger tätig, rief ein Häftling nach mir: „Hey Reiniger! Komm mal her!“. Er befand sich am Ende des Ganges. Ich sah ihn an und lief einfach in meine Zelle rein, da ich mich sowieso auf dem Weg zu meiner Zelle begeben hatte. Dann hörte ich die lauten Schritte, und er stand vor meiner Zellentür. „Hey, hast Du mich nicht gehört? Wieso kommst Du nicht, wenn ich nach Dir rufe?“. Er war ein Russe, wohl etwas älter, aber klein geblieben und auch etwas dünn, er hatte etwas „Gollum - aus - Herr - der - Ringe“ - artiges an sich. „Ich bin nicht dein Hund, wenn Du was von mir willst, dann komm doch selber.“ Mittlerweile hatte ich genug Selbstbewusstsein aufgebaut und traute mir diese Aussage zu. Zudem hoffte ich, dass im schlimmsten Fall meine Türken hinter mir stehen würden. „Hund, ja? Das nächste Mal kommst Du, mir egal. Ich habe Dir letztens gesagt, dass Du meine Wäsche falten sollst, nachdem Du sie gewaschen hast.“ Das hatte er in der Tat: „Du hast mir morgens um 6:30 Uhr, kurz bevor Du zur Arbeit bist, den Wäschesack in die Hand gedrückt und ich hab’ nicht gesagt, dass ich das falten werde. Ist mir doch egal, was Du da gesagt hast.“ Er war etwas verwundert, dass ich 'Milchbubi' mich verbal wehrte: „Warum faltest Du dann die Wäsche von Savas und Taylan?“ fragte er mich. „Weil ich Bock drauf hab, bei Dir habe ich keine Lust dazu. Außerdem ist das nicht meine Aufgabe, ich mach das bei Taylan und Savas freiwillig.“ Er überlegte kurz: „Gut, dann sorgen wir dafür, dass Du nicht mehr Reiniger bist.“ Auch wenn ich etwas Angst hatte, dass da was Wahres dran sein könnte, antwortete ich tapfer: „Viel Spaß dabei.“ Verwundert war ich, als mich dann einige Minuten später unsere Türken zu sich in die Zelle riefen und sich dieser Gollum-Russe auch bei ihnen befand. Er hatte sich wohl beschwert, dass seine Wäsche nicht gefaltet wird, aber die von Taylan und Savas schon. Und dann kam etwas, was ich nicht erwartet hatte: „Emre, Du musst auch seine Wäsche falten, sonst ist das unfair“, sagte mir Taylan, vor den Augen des Russen. „Achso, okay. Wenn das unfair ist, machen wir folgendes: ich falte eure Wäsche auch nicht mehr.“ Taylan schien angepisst zu sein, Savas ergriff das Wort: „Emre muss die Wäsche nicht falten, er faltet die Wäsche von den Jungs, wo er es will. Wenn Du willst, dass er deine Wäsche faltet, dann musst Du ihm einen Tabakbeutel geben.“ Der Russe überlegte und war entschlossen, mir einen Tabakbeutel zu geben, damit ich seine Wäsche falte: „Gib mir lieber 10 Tafeln Schokolade, ich bin Nichtraucher.“ Keine 5 Minuten später stand er mit den 10 Tafeln in meiner Zelle, schien sogar eher froh als angepisst zu sein. Danach hatte ich nie wieder ein Problem mit ihm, lernte aber, wie ich als Reiniger nebenher noch etwas dazu verdienen konnte.

Doch das Reiniger-Dasein hatte auch seine schlechten Seiten. Herr Winter hatte mich die letzten zwei Wochen hart arbeiten lassen. Er wollte, dass ich den Boden mit irgendeinem Wachsmittel poliere, und das stundenlang. Er gab mir einen kleinen Schrubber und wollte, dass ich die ganzen Kanten im Flur, in der Küche und im Freizeitraum durchgehe, und die schwarzen Flecken wegschrubbe. Zudem erlaubte er mir nicht zum Sport zu gehen, da ich mich theoretisch in der Arbeitszeit befand. Auch sonst war er weniger nett als die restlichen Beamten. Ich hasste es, wenn morgens die Zellentür aufging und ich sein Gesicht sah. Dann wünschte ich mir einfach nur, dass die 8 Stunden baldmöglichst vergehen würden, damit er endlich Feierabend machte. Auch kontrollierte er meine Zelle häufiger. Es gab einige Sachen, die er mir in meiner Haftzeit nicht erlaubte oder bei denen ich das Gefühl hatte, dass er einfach nur wollte, dass es mir schlecht geht. Doch er war nicht nur gegenüber mir so, er war zu allen Häftlingen mies. Er gehörte zu den Beamten, die die Häftlinge einfach „brennen“ sehen wollten.

„Anton, was hat es mit dem Herrn Winter auf sich? Was ist sein Problem mit uns?“. Er war wieder am Kaffee kochen, ich glaube, stündlich trank er etwas davon. „Emre, scheiß auf den, da musst Du durch. Der will BDL werden. Aktuell ist es ja der Bender, der geht aber bald in Rente und der Herr Winter ist der Nächste, der höchstwahrscheinlich BDL wird. Deswegen ist der so streng, glaube ich zumindest.“ Das war eine interessante These, und diese bestätigten mir mit der Zeit auch andere Beamte, mit denen ich mich gut verstand. Nach fast einem Jahr war ich für eine gewisse Zeit weg von Schwäbisch Hall, nämlich in Stammheim. Als ich dann 5 Monate später wieder nach Schwäbisch Hall zurückverlegt wurde, sah ich die Beamtin Frau Duft, mit der ich mich vor meiner Verlegung bereits gut verstanden hatte. Als ich mich mit ihr unterhielt, kam das Thema Herr Winter auf. „Ist Herr Winter denn endlich BDL geworden, jetzt, wo Herr Bender endlich in Rente gegangen ist?“. Sie lachte: „Nein, er hat Mist gebaut, Herr Winter ist jetzt in einem anderen Stockwerk und wird wohl für eine lange Zeit kein BDL werden.“ Bis heute weiß ich nicht, was er angestellt hatte. Ich weiß nur, dass er alles dafür gegeben hätte und auch gegeben hat um BDL zu sein, doch das Schicksal hatte wohl andere Pläne mit ihm.

Es waren also nun fast 3 Monate seit meiner Verhaftung vergangen und ich hätte auch alles dafür gegeben, damit mein Bruder aus der Haft entlassen wird, doch das Schicksal hatte wohl auch andere Pläne mit ihm. Ich saß in meiner Zelle, in meiner Hand ein Brief von meinem Verteidiger. Er teilte mir mit, dass mein Bruder auch ein Geständnis bei den BKA-Beamten abgelegt hatte...

Und sie nun Haftbeschwerde einreichen würden, damit er entlassen wird.
 

Seedy

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Bis heute weiß ich allerdings nicht, welche Nachteile genau eine Sicherheitsverwahrung mit sich bringt. Ich weiß nur, dass lediglich Schwerverbrecher solche Strafen bekommen

Sicherheitsverwahrung bedeutet das man nach Absitzen der Strafe weiter in Hafteingesperrt* bleibt, weil man eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt.

Im Gegensatz zur Freiheitsstrafe ist es 1. keine Strafe und 2. hat ihre Verhängung weniger mit der Tat sondern mit der Gefährlichkeit der Person zu tun.
Ihre Dauer bemisst sich auch anhand von Gutachten und Prognosen.
Sicherungsverwahrung ist, da es keine Strafe darstellt, auch meist wesentlich lockerer als Haft.
Sie wird außerdem meist mit Resozialisierungen, oder Therapien verbunden - falls geplant ist sie jemals zu beenden.

Es ist quasi die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt für die nicht verrückten, aber trotzdem gefährlichen.


*Sicherheitsverwahrung soll explizit keine Haft darstellen - daher war meine Wortwahl unglücklich
 
Zuletzt bearbeitet:

bevoller

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Sicherheitsverwahrung bedeutet das man nach Absitzen der Strafe weiter in Haft bleibt, weil man eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt.

Nein, eine Haft ist es gerade nicht. Die Freiheit bleibt zwar weiterhin entzogen, allerdings besteht ein deutliches Abstandsgebot zur Strafhaft, weil die Täterin die Strafe verbüßt hat.
http://www.freilaw.de/der-vollzug-der-sicherungsverwahrung/691
Gerade weil das Abstandsgebot nicht ausreichend beachtet wurde,haben in den letzten Jahren einige Sicherungsverwahrte, u.a. aus Hamburg, dagegen geklagt.
http://www.mopo.de/hamburg/sicherun...le-fuer-justizsenatorin-jana-schiedek-5290864
 

Seedy

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Worin liegt der Unterschied?

In der gesetzlichen Grundlage.

Wobei, jetzt wo du es sagst:
Freiheitsentzug aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung.
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/haft.html
Das trifft auf beides zu...

Ich halte es schon für Sinnvoll das zu Unterschieden, aber ...:confused:

Es ist Haft, aber keine Haftstrafe (sagtest du bereits)
Wobei es sicherlich einen Grund gibt, dass sie es nicht Sicherungshaft nennen....
 

T_Low_Benz

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@cokeZ:
Ah danke :D

Aber geht ja nur bei einem Beitrag quasi. Jetzt kann ich ja keinen mehr verlinken.


Eine Sache versteh ich Grad nicht BeSure. Du schreibst nach fast einem Jahr bist du von schwäbisch Hallo weg und ein Stück weiter unten schreibst du es sind fast 3 Monate nach der Verhaftung vergangen.

Oder verstehe ich da gerade etwas falsch? Passt ja von der zeit irgendwie nicht. Danke für das Kapitel :)
 

BeSure

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@cavin
Danke Dir :)

@T_Low_Benz
Habe das wohl etwas unglücklich geschrieben.
Das sollte quasi ein "Flashforward" sein, also eine Vorblende. Also das Kapitel spielt ca. 3 Monate nach der Verhaftung, habe aber etwas vorgegriffen, quasi eine Zwischensequenz, und jetzt bin ich wieder zurück bei den 3 Monaten. Also eigentlich gar nicht Tagebuch-Like, aber hab' mir da jetzt keine großen Gedanken drüber gemacht :)

--- [2016-12-08 14:30 CET] Automatisch zusammengeführter Beitrag ---

Kapitel 26 - Die Therapie in die Freiheit

Ich drehte im Hof meine Runden, völlig vertieft in Gedanken bei meinem Bruder. Was er wohl gerade tat? Hatte er Gutes zu essen? Gab es bei ihm auch Häftlinge, mit denen er sich verstand, oder hatte er gar Stress? Vom Charakter her war er schon immer eine schwierige Person gewesen, er lässt sich nicht viel gefallen. Ich befürchtete, dass dies zu Konflikten führen könnte.

Meine Eltern sagten mir immer, dass es meinem Bruder auch gut ginge, aber ihren Gesichtszügen konnte ich entnehmen, dass dem nicht so war.

„Hey, was ist los?“ fragte mich Taylan und klopfte auf meine Schulter, hängte sich an meinen Hals und lief mit mir eine Runde. „Weißt Du, was eine Haftbeschwerde ist?“ Er sah mich an: „Oglum, kaum hast ein Geständnis gemacht, reichst Du schon eine Haftbeschwerde ein, oder was?“ Ich verneinte: „Mein Bruder, naja, eher sein Anwalt, hat Haftbeschwerde eingelegt.“ Er erklärte mir, dass dies deshalb gemacht wird, damit ein Haftrichter nochmals die Umstände beurteilt, also Flucht- und Verdunklungsgefahr, und das könnte dazu führen, dass er zumindest aus der U-Haft entlassen wird. „Was stand denn in eurem Haftbefehl drin? Beides, oder? Als Türke hast Du eigentlich keine Chance Emre, mach Dir da für deinen Bruder keine allzu großen Hoffnungen.“ Ich war weiterhin am Überlegen, denn ich glaubte an seine Entlassung. Es waren also einfach diese zwei Bedingungen, die einen in der Untersuchungshaft hielten, die Fluchtgefahr zum Einen, die Verdunklungsgefahr zum Anderen. Also überlegte ich mir, ob beide Bedingungen erfüllt waren. Die Verdunklungsgefahr, das hieß für mich, dass wir die Polizisten bei ihren Ermittlungen behindern könnten, in dem wir Beweismaterial zerstören oder verstecken. Ich hatte allerdings ein Geständnis abgelegt, mein Bruder genauso. Die Polizisten hatten nun mehr, wenn nicht alles gegen uns in der Hand, wir hatten nichts mehr an Beweismaterial, das wir hätten vernichten können. Da war ich mir sicher, dass mein Bruder aufgrund von Verdunklungsgefahr nicht in U-Haft sitzen könnte. Dann gab es noch die Fluchtgefahr. Wenn man keinen deutschen Pass besaß und zudem auch keine sozialen Kontakte in Deutschland, war das Grund genug, einen in der U-Haft zu halten. Dies leuchtete mir auch ein. Doch mein Bruder hatte die doppelte Staatsbürgerschaft, sowohl die deutsche als auch die türkische. Er hätte zwar in die Türkei fliehen können, aber seine komplette Familie, Freunde und Bekannten befanden sich in Deutschland. Warum sollte also mein Bruder in die Türkei fliehen? Was würde das Gericht als Begründung für eine erhöhte Fluchtgefahr angeben?

Mir fiel nichts ein, der Hofgang war noch nicht zu Ende und da sah ich ihn, den besten Justizbeamten, den ich je kennen gelernt hatte: „Herr Nil, wie geht es Ihnen?“ Er duzte mich, wie alle Beamte, mit denen ich mich gut verstand. „Gut, und Dir, Ates?“ Meinen Vornamen kannte er wohl nicht. „Wie es einem Häftling halt so geht, die Zeit vergeht einfach nicht.“ Wir plauderten ein wenig und dann kam ich direkt zur Sache: „Herr Nil, warum könnte das Gericht denken, dass mein Bruder Flucht begeht, wenn er aus der U-Haft entlassen wird?“ Er brauchte nicht lange zu überlegen: „Ich bin kein Jurist, aber dem zufolge, was Du mir erzählt hast, ist schon allein eure Flucht bei der Verhaftung ein Grund, den das Gericht nennen könnte. Aber viel wichtiger ist das zu erwartende Strafmaß. Das Gericht könnte sagen, dass deinen Bruder eine hohe Strafe erwartet und dies Grund genug sei, dass er in die Türkei fliehen könnte. Würden sie ihn frei lassen, kann dein Bruder davon ausgehen, dass es höchstwahrscheinlich zu keiner Freiheitsstrafe ohne Bewährung kommt.“ Nun war ich schlauer, das Ganze machte mehr als Sinn. Mein Bruder sollte also aus dem Schneider sein. Ich hatte doch alles auf mich genommen. Ich war mir sicher, dass er rauskommen würde. Nun interessierte es mich natürlich auch, wie es mit mir weitergehen würde: „Herr Nil, was denken Sie, wie lange ich noch sitzen muss?“ Er lachte, die Frage hatte er sicherlich oft genug gestellt bekommen: „Ates, Du verbringst Weihnachten hier.“ Ich wusste nicht, ob das ironisch gemeint war, aber er brachte es auf eine lustige Art und Weise rüber, und unfreiwillig musste ich darüber lachen. „Herr Nil, wir haben Juli. Anfang Oktober sind meine 6 Monate U-Haft-Obergrenze um, bis Weihnachten bin ich nicht da.“ Ich hatte Angst, dass es noch so lange dauern würde bei mir, aber auch Hoffnung, dass ich spätestens Anfang Oktober wieder in Freiheit wäre. Ich war naiv und habe zu dem Zeitpunkt nicht geahnt, wie ernst das Ganze ist, und welches Strafmaß mich tatsächlich erwartete. Wäre mein Urteil gleich in den ersten drei Monaten meiner Haftzeit gefallen, dann wäre ich wahrscheinlich kaputt gegangen. Fast 4 Jahre in Haft, das hätte ich nicht verkraften können. Doch bis zu meinem Urteil ein Jahr später lebte ich aufgrund der Hoffnung, die ich hatte. Nach meinem Urteil hatte ich mich mit der Haft abgefunden, ich hatte mich an meine Umstände gewöhnt.

Bald würden meine Eltern wieder zu Besuch kommen, Woche für Woche taten sie sich den langen Weg an, nur, um mich dann für eine halbe Stunde zu sehen. Sie würden mir diesmal hoffentlich auch die wundervolle Nachricht mitteilen, dass mein Bruder frei ist. Es war an der Zeit, dass ich mich um mich selbst kümmerte.

In diesem Zusammenhang hatte ich etwas von einer Therapie gehört. Die ganzen Drogendealer sagten einfach, dass sie gedealt hatten, um ihren eigenen Konsum zu finanzieren, dass sie süchtig waren und deswegen das Geld brauchten. „Man muss dann nur 6 Monate in Therapie und dann ist man frei.“ teilte mir Savas mit. „Was? Wie jetzt? Das geht doch nicht, egal wie hoch meine Strafe ist?“ Ich war verblüfft. „Nein natürlich nicht, Du Dummkopf! Wenn Du nur noch 2 Jahre zu sitzen hättest, könntest Du 6 Monate in Therapie, und dann wirst entlassen. Würdest Du beispielsweise 2 Jahre und 6 Monate bekommen, müsstest Du 6 Monate sitzen, und dann nochmal 6 Monate Therapie, dann bist frei. Das nennt sich ’35er‘. Aber es gibt noch den ’64er‘, das werde ich machen. Man darf 2 Jahre vor seiner „Halbstrafe“ in die Therapie, die ist aber strenger als der 35er. Die dauert 2 Jahre lang an und ist auch anfangs geschlossen, man darf nur von Zeit zu Zeit raus. Wenn ich also 6 Jahre bekommen würde, müsste ich 1 Jahr sitzen, dann 2 Jahre Therapie, dann werde ich entlassen.“ Das hörte sich für mich an wie eine Sicherheitslücke im System, ich konnte es einfach nicht glauben. Warum sollte ich nicht auf Nummer sicher gehen? Es hätte ja sein können, dass ich 2 Jahre 6 Monate bekomme, dann würde ich meine U-Haftzeit absitzen und könnte dann direkt in die Therapie. „Du Spaßvogel, du hast dem Arzt schon gesagt, dass Du noch nie Drogen genommen hast. Du kannst die Therapie vergessen!“ Taylan holte mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. „Und gibt’s sowas wie Glücksspielsucht? Ich hatte einen Wettschein bei meiner Verhaftung dabei. Ich könnte doch sagen, ich hab das Geld für Glücksspiel ausgegeben, weil ich süchtig bin?“ Savas überlegte nicht lange: „Glaub mir Alter, die checken, dass Du lügst. Aber probier’s einfach aus.“

Ich war froh. Endlich gab es mal etwas, das ich tun konnte, und endlich keimte in mir wieder das Gefühl auf, meine missliche Lage beeinflussen zu können. Ich gab sofort meinen Antrag bei der Suchtberaterin ab. Eine Woche später kamen dann auch schon die Informationen bezüglich des ersten Gesprächstermins. Meinen Eltern würde ich von meinem Vorhaben aber nicht erzählen, ich wusste nicht, wie sie drauf reagieren würden. Glücklich ging ich in den Besuchsraum runter, gleich würden sie mir mitteilen, dass mein Bruder wieder zuhause ist und ich könnte nun endlich meinen eigenen Arsch retten, die Therapie war die Lösung. Ich ging in den Raum rein, ich sah ihre Gesichter. Meine Mutter, traurig wie immer, das Taschentuch allzeit griffbereit in der Hand. Mein Vater mit seinen strengen Blicken war ziemlich gelassen und sah meine Mutter immer wütend an, in der Art „Frau, wehe, Du weinst schon wieder!“

Ich küsste ihre Hände und setzte mich hin.

Es gab mal einen Albaner, den ich in der U-Haft kennen gelernt hatte. Er war um die 30, hatte eine hübsche Frau und eine kleine süße Tochter. Eigentlich eine tolle Familie, deren Wert er aber leider nicht zu schätzen wusste. Er war Zuhälter, und bei den Black Jackets noch dazu ein hohes Tier. Irgendwie verstand ich mich gut mit ihm, wie mit allen anderen Albanern auch. Doch mit ihm verbrachte ich etwas mehr Zeit, und hin und wieder nutzte er dies zu seinem Vorteil aus. Das war mir bewusst, aber es war mir egal, denn ich genoss durch seine Gesellschaft ein besseres Ansehen vor den anderen. Er war der festen Überzeugung, dass er maximal drei Jahre Haftstrafe bekommen würde. „Nur diese eine dumme Nutte hat ausgesagt und behauptet, ich hätte ihr eine Knarre auf den Kopf gehalten und gedroht zu schießen, wenn sie mir keinen bläst.“ Das war ziemlich krank, er bestritt es aber auch nicht. Jedoch hatte diese „Nutte“ wohl ziemlich gut ausgepackt bei den Polizisten. „Emre, kannst Du rechnen?“ fragte er mich einmal lachend. „Ja klar.“ sagte ich. Dann machte er eine ruckartige Bewegung und tat so, als würde er zuschlagen. Ich zuckte kurz zusammen. „Haha, damit hast nicht gerechnet, was?“ Irgendwie fand ich das witzig in dem Moment.

Nicht witzig war es dann, als er knapp 10 Jahre Haftstrafe bekam. Er hatte wohl nicht damit gerechnet.

Weniger witzig war aber, als ich von meinen Eltern erfuhr, dass mein Bruder noch in Haft war. Diesmal war ich derjenige, der nicht damit gerechnet hatte.

Und am wenigsten witzig war für mich der Moment, als mir klar wurde, dass eine Therapiesitzung nicht nur Positives mit sich brachte, nein, ganz im Gegenteil. Ich hätte nie damit gerechnet, dass mir das Vorhaben mit der Therapie mehr schaden, als etwas bringen würde.

Nun saß ich da mit meinen Eltern im Besuchsraum und wollte wissen, warum mein Bruder noch immer in Stammheim gefangen war. Ich bekam Gänsehaut, als ich den Grund erfuhr.

Wir waren sowas von am Arsch.
 
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