• Hallo liebe Userinnen und User,

    nach bereits längeren Planungen und Vorbereitungen sind wir nun von vBulletin auf Xenforo umgestiegen. Die Umstellung musste leider aufgrund der Serverprobleme der letzten Tage notgedrungen vorverlegt werden. Das neue Forum ist soweit voll funktionsfähig, allerdings sind noch nicht alle der gewohnten Funktionen vorhanden. Nach Möglichkeit werden wir sie in den nächsten Wochen nachrüsten. Dafür sollte es nun einige der Probleme lösen, die wir in den letzten Tagen, Wochen und Monaten hatten. Auch der Server ist nun potenter als bei unserem alten Hoster, wodurch wir nun langfristig den Tank mit Bytes vollgetankt haben.

    Anfangs mag die neue Boardsoftware etwas ungewohnt sein, aber man findet sich recht schnell ein. Wir wissen, dass ihr alle Gewohnheitstiere seid, aber gebt dem neuen Board eine Chance.
    Sollte etwas der neuen oder auch gewohnten Funktionen unklar sein, könnt ihr den "Wo issn da der Button zu"-Thread im Feedback nutzen. Bugs meldet ihr bitte im Bugtracker, es wird sicher welche geben die uns noch nicht aufgefallen sind. Ich werde das dann versuchen, halbwegs im Startbeitrag übersichtlich zu halten, was an Arbeit noch aussteht.

    Neu ist, dass die Boardsoftware deutlich besser für Mobiltelefone und diverse Endgeräte geeignet ist und nun auch im mobilen Style alle Funktionen verfügbar sind. Am Desktop findet ihr oben rechts sowohl den Umschalter zwischen hellem und dunklem Style. Am Handy ist der Hell-/Dunkelschalter am Ende der Seite. Damit sollte zukünftig jeder sein Board so konfigurieren können, wie es ihm am liebsten ist.


    Die restlichen Funktionen sollten eigentlich soweit wie gewohnt funktionieren. Einfach mal ein wenig damit spielen oder bei Unklarheiten im Thread nachfragen. Viel Spaß im ngb 2.0.

Mein Hafttagebuch

cavin

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Juhu, gleich noch ein Kapitel. Freut mich dass du grade viel schreibst, so ist meine Mittagspause immer spannend :D
Witzigerweise wird dieser Trick mit der Therapie und Haftverkürzung auch im Buch erwähnt, der Protagonist tauscht jede Haftstrafe gegen eine kürzere Therapie. Wie Urlaub im Gegensatz zum Knast.
 

Seedy

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@BeSure:

Du hast die Therapie anfrage noch während der Untersuchungshaft gestellt, verstehe ich das richtig?
 

BeSure

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@Seedy:

Ja, genau.
Also ich hab' bei der Suchtberaterin in unserer Anstalt einen Antrag auf Gesprächstermine gestellt. Man musste glaube ich ca. 3-5 Termine bei ihren Therapiesitzungen wahrnehmen. Es ging erst darum, dass man erzählen musste, weshalb man denkt, dass man süchtig ist und eine Therapie braucht und danach hat sie mögliche Therapieanstalten empfohlen.
Den eigentlichen Antrag für die Therapie bei der Therapieanstalt haben wir allerdings nicht gestellt, das wurde im kurz vor der Urteilsverkündung gemacht und ich glaube der Richter musste dann auch zustimmen, ob er eine Therapie erlaubt (was in den meisten Urteilsverkündungen der Fall war).

Also nochmal kurz gesagt: Ich habe nur Gesprächstermine bei der Suchtberaterin in unserer Anstalt wahrgenommen, einen endgültigen Antrag auf Therapie habe ich allerdings nicht gestellt.
 

BeSure

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Kapitel 27 - Nicht aller guten Dinge sind Drei - Teil 1/4

„Wie geht’s meinem Bruder?“

Obwohl wir nun schon eine Weile im Bau saßen, war ich immer noch besorgt um ihn. „Deinem Bruder geht es schlecht, Emre. Du kommst frisch geduscht und mit einem Grinsen in den Besucherraum, dir scheint es hier ja gut zu gehen. Dein jüngerer Bruder stinkt nach Zigaretten, seine Haare sind jedes Mal völlig zerzaust, er tauscht fast kein Wort mit uns aus.“ Mein Vater redete mir ein schlechtes Gewissen ein. Mir ging es doch auch nicht wirklich gut, aber ich versuchte, vor meinen Eltern den starken Sohn zu spielen, zu zeigen, dass wir gemeinsam diese harte Zeit überstehen werden. Stammheim war ein ganzes Stück härter als die JVA in Schwäbisch Hall, das musste ich zugeben, aber er war doch im Jugendbau, da müsste es doch irgendwelche Vorteile geben? Meine Mutter sah meinen Vater böse an: „Emre, Du kennst deinen jüngeren Bruder, er wird das schon durchstehen, wir kümmern uns um ihn. So, wie wir um uns Dich kümmern und Sorgen machen. Ich hoffe, Dir geht es den Umständen entsprechend gut?“ Meine Mutter sorgte sich immer um ihre Kinder, sah nur das Gute in uns. „Mama, mir geht es gut, ganz ehrlich. Ich bin auch Reiniger geworden, das ist richtig cool. Meine Tür ist von 5:30 Uhr bis 21:30 Uhr offen, ich muss nur ein bisschen putzen und Essen verteilen.“ Meine Eltern sahen mich so an, als würde ich ein Lügenmärchen erzählen.

Sie waren es gewohnt, dass ich log. Ich log wegen Kleinigkeiten, wegen größerer Angelegenheiten, log, um Probleme zu vertuschen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen, um zu kriegen was ich wollte, ich log, um meine Lügen zu vertuschen. Es brauchte Zeit, bis meine Eltern mir wieder vertrauen konnten, bis ich meine Aussagen nicht mehr beweisen musste.

„Mama, Du denkst, dein Sohn hier ist ein guter Junge? Dann täuschst Du Dich, er hat zwei Gesichter. Er zeigt Dir immer nur sein Engelsgesicht, aber sein teuflisches Gesicht hast Du noch nicht gesehen.“ Mein Bruder versuchte, mich bei meiner Mutter immer schlecht darzustellen. Auch mein Vater bezeichnete mich als Teufel, der sich als Engel maskiert hatte. Irgendwann fragte ich mich, ob ich wirklich zwei Gesichter hatte, ob ich nur so tat, als wäre ich ein guter Sohn. Ich hinterfragte praktisch meine Identität. Mein Bruder kannte alle meine Geheimnisse, er kannte mich besser als jeder andere Mensch auf der Welt, hatte er also Recht mit den zwei Gesichtern? Konnte er das am besten beurteilen? Er teilte von Zeit zu Zeit meine Geheimnisse meinen Eltern mit, zeigte ihnen, dass ich kein offenes Buch, sondern ein guter Lügner war.

Wenn ich meinen Bruder heute so ansehe, dann sehe ich mein eigenes Spiegelbild von vor einigen Jahren. Ich hasse den Emre von vor einigen Jahren, ich hasse meinen Bruder. Doch damals in der Haft habe ich Ihn geliebt, er war die wichtigste Person in meinem Leben. Nicht nur, weil ich die Verantwortung als älterer Bruder spürte, sondern weil er mein bester Freund und mein bester Feind zugleich war und wir dasselbe Schicksal teilten. Doch das ist nun ganz anders.

„Die Haftbeschwerde deines Bruders wurde abgelehnt.“ Das waren die knallharten Worte meines Vaters, die das Adrenalin in mir fließen ließen. „Aber…warum?“ wollte ich wissen, während mir tausende Gedanken durch den Kopf schossen. Mein Vater sah den Beamten, der uns optisch und akustisch überwachte, an, so als ob er mir gleich ein Geheimnis verraten würde: „Die Bundespolizei ist auf neue Erkenntnisse gestoßen. Sie reden etwas von einem dritten Mittäter.“

Konnte das wirklich sein? Hatten sie ihn nun echt erwischt? „Was für ein dritter Mittäter?“ Ich hoffte, dass sie mir jetzt keinen Namen nennen konnten. „Sag Du es uns, Emre. Irgendeiner, den Du in Schutz nimmst, weswegen nun dein Bruder büßen muss?“ Ich konnte es ihnen einfach nicht sagen, ich konnte nicht sagen, dass tatsächlich ein Dritter im Bunde war. Offensichtlich hatte die Polizei noch keine Ahnung, wer der dritte Mittäter war, sonst hätten das meine Eltern längst mitbekommen. Die Eltern des dritten Mittäters hätten meine Eltern besucht und ihnen Vorwürfe gemacht: „Wegen eures Sohnes sitzt unserer nun auch hinter Gittern!“, hätten sie gesagt. Ich war kein 31er, ich war kein Verräter, ich war ein Freund, ein Freund des dritten Mittäters. Mein Bruder musste in Haft sitzen, damit der Dritte in Freiheit bleibt?

Dann sollte es so sein.

Ich stellte mir die Frage, wieso ich einen dritten Mittäter überhaupt gebraucht hatte, wieso hatte ich ihn mit ins Boot geholt? Es müsste circa 7-8 Monate vor meiner Verhaftung gewesen sein, ich war in einem Supermarkt und mein guter Freund Adnan war dabei. „Emre, endlich ist meine Ausbildung zu Ende, ich hoffe, die übernehmen mich.“ Adnan war froh, dass er nach seinem Hauptschulabschluss nun auch seine Ausbildung abgeschlossen hatte. Er hatte es verdient, er war ein sehr netter, sympathischer und intelligenter Junge. Doch seine Familie verlangte ihm viel ab. Er war das typische Beispiel eines türkischen Sohnes, der nur für seine Familie lebte und wohl nur in die Welt gesetzt wurde, damit er dem Familienoberhaupt und seinen Untergebenen dienen kann. „Hast Du schon mal darüber nachgedacht zu studieren, Adnan? Ich meine, Du bist jünger als ich, Du könntest vom Alter her früher mit dem Studium beginnen als ich?“

Er überlegte nicht lange: „Ich hab mir schon Gedanken darüber gemacht, ich müsste nur ein Jahr Berufskolleg machen, dann könnte ich an einer Hochschule studieren.“ Wir nahmen uns jeweils eine RedBull Dose aus dem Regal und gingen in Richtung Kasse. „Ja, ist doch toll ey, wusste ich gar nicht. Dann musst Du ja nur ein Jahr auf die Schule, das ist doch grandios. Was hält Dich davon ab?“. Ich war verblüfft, dass das deutsche Bildungssystem so etwas ermöglichte. An dem Tag wurde mir klar, dass jeder ähnliche Chancen auf Bildung hatte und quasi selbst schuld war, wenn er seine Schulbildung früher abbrach. „Weißt Du Emre, ich habe mich während der Ausbildung an das Geld gewöhnt, ich kann nicht studieren. Ich habe mir ein Auto gekauft und auch sonstige finanzielle Verpflichtungen.“ Das war für mich eine faule Ausrede, ich wollte es genauer wissen: „Ich mein, wie viel hast Du denn schon verdient in der Ausbildung? 700-800 EUR? Als Student hast Du doch das Anrecht auf Bafög, meine Güte. Und dann holst Du dir noch einen Nebenjob und bist gleich mal auf demselben finanziellen Niveau wie bei deiner Ausbildung!“. Auch wenn er den Anschein erweckte, wirklich studieren zu wollen, ließ er sich nicht so schnell von meiner Aussage beeinflussen. „Da ist doch noch das eine Jahr Berufskolleg, da bekommt man doch, wenn überhaupt, nur Schüler-Bafög. Das ist glaub recht wenig“, meinte er, als wir unsere Energy Drinks tranken und in der Stadt herumlungerten. Ich weiß nicht, was ich mir in diesem Moment gedacht hatte, warum zum Teufel ich dachte, dass ich ihm nun etwas Gutes tun würde. Aber wie üblich war mein Mundwerk schneller als mein Gehirn, ich redete oft unüberlegt: „Adnan, wenn Du jeden Monat 1.000 bis 2.000 EUR bekommen würdest, würdest Du dann studieren?“ Er sah mich an und war überrascht, als er merkte, dass dies eine ernst gemeinte Frage war. „Ja natürlich, damit könnte ich gut leben.“ Das hatte ich auch nicht anders erwartet und fing sogleich mit meiner überzeugenden Rede an: „Adnan, ich erzähl Dir jetzt etwas, aber nur, weil ich Dir vertraue und Dir helfen möchte.

Du kennst sicherlich die Deutsche Bahn?“

Adnan war ein guter Junge, und er ist es noch immer. Dennoch: Ihn zu dem Computerbetrug zu überreden war einfacher, als ihm das Studium schmackhaft zu machen. An dem Tag begriff ich, dass man einen Menschen nicht nach Gut und Böse kategorisieren kann. Menschen tun Böses, Menschen tun Gutes, das würde es eher treffen. Und Adnan war kurz davor, Böses zu tun. Warum? Es war nicht nur das Geld, es war nicht nur das Adrenalin… es gab einen viel wichtigeren Grund: Wir waren wohl einfach zu schwach für diese Welt.

„Ich habe keinen dritten Mittäter Papa, ich habe doch alles bei den Polizisten gestanden.“ Meine Mutter fing wieder an zu weinen: „Wenigstens einen meiner Söhne hätten sie mir zurück geben sollen.“ Eine halbe Stunde war manchmal wie eine Ewigkeit , manchmal war es aber einfach nur eine kurze halbe Stunde. Die Besuchszeit war vorbei. Ich verabschiedete mich von meinen Eltern. „Das wird schon, mein Sohn. Hoffen wir auf das Beste, Gott wird uns helfen.“ Meine Mutter umarmte mich fest. Ich küsste die Hand meines Vaters, umarmte ihn nicht, ich hatte ihn nämlich noch nie umarmt.

„Emre, merk dir eins: Wir werden Widerspruch gegen die Haftbeschwerde einlegen. Und ich bin dein Vater. Ich merke, wenn Du lügst.“

Ich nahm meine zwei Tafeln Schokolade, die mir meine Eltern jedes Mal vor dem Besuch kauften, mit auf die Zelle und verputzte sie sofort, denn ich war gestresst und verzweifelt. Schokolade war meine Nervennahrung. Ich legte mich auf mein Bett und fing an nachzudenken. Sollte ich Adnan verpetzen? Wollte ich meinen Bruder retten, oder wollte ich meinen Freund aus der Scheiße raushalten?Meine Entscheidung war nicht leicht. In den drei Monaten, in denen Adnan mit im Boot gewesen war, hatte es sehr viel Stress gegeben. Schon damals musste ich mich für einen von beiden entscheiden. Nun stand ich wieder vor derselben Entscheidung.

Was ich allerdings völlig außer Acht gelassen hatte, war, dass nicht aller guten Dinge drei sind. Nein, ganz im Gegenteil, die Drei stand für „Bande“, und das wiederum stand für ein hohes Strafmaß. Ich hätte es eigentlich besser wissen müssen.
 
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T_Low_Benz

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So wie ich gelesen habe hasst du deinen Bruder mittlerweile? Wenn dem so ist darf ich fragen warum? Weil er deine Geheimnisse weiter gegeben hat?

Und warum musstest du dich damals schon mal für deinen Bruder oder deinem freund entscheiden?

LG
 

cavin

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@T_Low_Benz: Naaa, nicht spoilern. Ich denke dieser Teil wird noch kommen ;) wär ja langweilig wenn hier vorab gegriffen wird.
Ich kann's auch kaum erwarten aber da müssen wir durch :D
 

Schrenk

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Finde das alles sehr spannend und aufschlussreich (auf für meine berufliche Arbeit) und freue mich auf jedes neue Kapitel :)
 

BeSure

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Haha Leute, wie ihr mich hier motiviert weiter zu schreiben, das gibt es doch gar nicht xD
Freut mich echt total, dass ich hier Leser habe die Interesse an meinem Hafttagebuch haben und dann noch schön geduldig seit Monaten mitlesen, danke euch :)

Ansonsten @T_Low_Benz
Im nächsten Kapitel erzähle ich, weshalb ich mich zwischen meinem Freund und meinem Bruder schon vorher entscheiden musste. Aber wie ich sehe habe ich mein Ziel erreicht: Nämlich, dass der Leser offene Fragen hat und voller Spannung auf die Antworten wartet. Das wiederum erhöht meine Bedenken, dass die Antwort auf die Frage dann nicht so spannend ist wie erhofft. Dennoch versuche ich das Ganze realitätsnah darzustellen, auch wenn ich es tatsächlich etwas (aber wirklich nur ein klein wenig) schmücke.

@cavin
Ja genau, am Wochenende schreib ich's auf jeden Fall.

@Schrenk
Danke :) Wäre es evtl. möglich mitzuteilen, welchen Beruf Du ausübst? Deine Aussage interessiert mich jetzt doch ein wenig :D Gerne auch per PN.

Ich würde ja gerne alles auf einmal schreiben und dann veröffentlichen, aber dann müsstet ihr ein gutes Jahr warten bis dann was Neues kommt. Ausserdem finde ich die jetzige "agile" Methode ganz gut, weil ich für jedes Kapitel ein Feedback bekomme und dann einfach Lust drauf hab weiter zu schreiben.
 

BeSure

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Kapitel 28 - Nicht aller guten Dinge sind Drei - Teil 2/4

Diese Nacht zog sich ins Unendliche.

Es war jedes Mal so, wenn ich in Gedanken vertieft war und auf die Erlösung, den Schlaf, wartete. Die Laternen erhellten von draußen mein Zimmer, das Gitter warf seinen Schatten direkt auf den Boden, auf den ich vom Bett aus starrte. Mein Gedankenchaos wurde mit Hintergrundmusik, einem Rap-Song, von der benachbarten Zelle aus untermalt. Und ich wartete weiter, hoffte einfach nur, dass mich der Schlaf bald übermannen würde. Mein Fenster war gekippt. Ich brauchte die frische Luft, sonst fühlte ich mich, als würde ich in meiner Zelle ersticken. Im Gang hörte ich zwei Beamte reden, sie liefen wohl gerade an meiner Tür vorbei.

Ich hatte Angst. Nicht, weil ich mal wieder den Gedanken hatte, dass die Beamten nachts meine Zellentür öffnen und irgendetwas mit mir anstellen würden. Es war viel mehr die Angst wegen des dritten Mittäters, der zugleich auch mein Freund war: Adnan. Ich musste mich entscheiden, es war die Qual der Wahl … und ich war immer schon schlecht darin gewesen, Entscheidungen zu treffen, egal, ob sie sich nachher als falsch oder richtig herausstellten. Doch diesmal hatte ich Zeit, genau zu überlegen – die Beantwortung der Frage, weshalb ich mich für welche Seite entscheiden sollte. Ich dachte an damals, an die Zeit, als ich meinem Bruder erklärte, dass Adnan nun mit im Boot ist.

„Abi, bist Du behindert?“. Mein Bruder hatte keinen Respekt vor älteren Familienmitgliedern, so wie man es eigentlich von türkischen Familien kennt. „Er ist mein Kumpel, er braucht das Geld, mir ist es egal, was Du davon hältst. Er macht mit.“ Auch wenn es meistens den Anschein hatte, als träfe ich die Entscheidungen, ließ ich mich öfter von meinem Bruder überzeugen. Ich hatte nie gelernt, die eigene Meinung durchzusetzen. Doch diesmal war es mal wieder anders: „Und wir teilen dann durch drei, oder wie?“, fragte er etwas empört. „Nein, natürlich nicht. Wir machen das wie bisher auch. Ich bekomme den Großteil, weil ich alles mache, du wieder dein Taschengeld, und Adnan gebe ich im Monat ca. 1.000 bis 2.000 EUR. Dann bist du immer noch viel besser dran als er. Ich gebe ihm quasi was von meinem Anteil ab.“ Das überzeugte meinen Bruder. Hauptsache, er würde die gleiche Menge an Geld bekommen wie bisher. „Geht klar. Ich hoffe, er verpetzt uns nicht.“ Leider sollte sich diese Befürchtung später noch als begründet herausstellen.

Noch wohnte ich bei meinen Eltern und Adnan hatte ebenfalls keine eigene Wohnung. Deshalb trafen wir uns in seinem Zimmer, während seine Eltern sich nebenan im Wohnzimmer befanden. Ich erklärte ihm erst einmal die Szene, was es für Foren gab, wie man sein Notebook verschlüsselte, welche anonymen Zahlungsmittel genutzt wurden und wie man anonym in das World Wide Web kam. Es war regelrecht ein Crashkurs in Sachen „Darknet“. Als er langsam begriff, wie alles funktionierte, erklärte ich ihm die Methode der Deutschen Bahn, wie einfach es war Online-Tickets zu bestellen und woher wir die ganzen Kunden bekamen. Ich zeigte ihm die Vorlagen bzw. Musterantworten, die ich den Kunden zusandte, und auch den Bankdrop bekam er an dem Tag zu Gesicht. Immer wieder wollte er sichergehen, dass das Ganze safe war, es sei extrem wichtig, dass seine Familie nichts mitbekomme. „Mein Vater stirbt an einem Herzinfarkt, wenn ich in den Knast wandere“, meinte Adnan, nachdem der Kurs vorbei war und er vor Aufregung gar nicht mehr stillsitzen konnte. Ihn zu beruhigen, fiel mir relativ leicht: „Adnan, du kommst nicht in den Knast. Wenn was passiert, was aber nicht der Fall sein wird, dann komm ich rein. Das lohnt sich ja nicht, wenn wir beide sitzen. Ich nehme dann schon alles auf mich. Aber glaub mir, es wird nichts passieren…nein, es kann nichts passieren.“

Wir gingen Schritt für Schritt an die Sache heran. Adnan erlebte das erste Mal, wie ich Tickets verkaufte, sah, wie viele Interessenten sich meldeten und war verblüfft, wie leicht sich die skeptischen Leute überreden ließen. „’Mein Schwager arbeitet bei der Deutschen Bahn, da gibt es ein Freikontingent, daher verkaufe ich die Tickets weiter.‘ – Das ist der magische Satz Adnan, das kauft mir jeder ab. Die Leute sind so gierig, die juckt das nicht, dass auf den Bahntickets „gebucht per Kreditkarte mit der Kreditkartennummer 404xxxx“ steht, die wollen einfach nur Geld sparen.“ Ich erzählte ihm, dass ich der Meinung war, dass die Interessenten eine gewisse Teilschuld an dem Ganzen hatten: „Schau mal, wenn der Interessent sein Hirn einschalten würde, könnten wir gar keine Tickets verkaufen, dann wäre die Methode für ‘n Arsch und die Deutsche Bahn würde keinen Schaden davontragen. Aber die Leute gieren förmlich nach günstigen Tickets.“ Adnan überlegte ein wenig: „Lan Emre, dann sind wir sowas wie Robin Hood, wir stehlen von den Reichen und geben an die Armen weiter. Und bisschen was zum Überleben bleibt dann für uns.“ Zu dem Zeitpunkt war ich derselben Meinung, auch wenn ich heute natürlich nicht mehr so denke. Damals entgegnete ich jedoch: „Ja genau, die Deutsche Bahn hat es nicht anders verdient. Da muss ja nur ein Zug ausfallen und die haben schon mehr Schaden als das, was wir in einem halben Jahr anrichten.“ Adnan war total überzeugt: „Das Coole ist ja, dass die Käufer dann mit den Tickets auch wirklich fahren können.“ Von da ab brauchte ich Adnan nicht mehr zu überreden, er hatte nämlich bereits begonnen, sich selbst alles schön zu reden.

Es dauerte nicht lange, da saßen mein Bruder, Adnan und ich im Auto. Ich war am Steuer und fuhr weg vom Heimatort, in ein weit entferntes Dorf. „Hebst Du wieder ab?“, fragte ich meinen Bruder. Das wurde langsam seine Rolle, er war einfach nur für das Abheben zuständig. Adnan sollte heute nur zuschauen und Schmiere stehen. Das Adrenalin schoss mir durch die Adern, auch Adnan konnte man die Anspannung ansehen. Als wir miteinander sprachen, zitterten unsere Kiefer, und wir stotterten vor Aufregung. Mein Bruder machte kurzen Prozess. Er zog seinen Schal über das Gesicht, eine Sonnenbrille drüber und mit angezogenen Handschuhen steckte er die Karte in den Geldautomaten, hob das Geld ab, kam ganz gelassen zu uns zurück und übergab mir das Geld. Wir stiegen sofort in das weit weg geparkte Auto, und als wir ein paar Minuten gefahren waren, ging es los. Wir schrien und jubelten, drehten die Musik laut auf und waren mega glücklich: „Alteeer Emre, wie geil ist das denn, ey. Wir haben jetzt einfach so 1000 EUR?“. Adnan konnte es kaum glauben, als er das Geld sah. Mein Bruder hingegen fand es richtig cool, dass er derjenige war, der die Eier zum Abheben hatte und tat neben Adnan so, als wäre er schon „lange im Geschäft“, womit er sich im Rang über ihn stellte. Meinem Bruder ging es immer um das Ansehen, alles Geld, was er bekam, gab er mit Freunden und für ebendiese aus. Er wollte, dass man weiß, dass er Geld hatte. Ich hingegen wollte irgendwie, dass man denkt, ich sei ein armer Schlucker. Was Adnan betraf – ich weiß nicht, ob er wollte, dass man denkt, er sei reicht oder arm. Er bekam nie wirklich Geld von uns… von mir.

Ich fuhr auf den Parkplatz eines McDonalds. „Also Adnan, wir teilen das wie folgt auf: 600 EUR gehören mir, weil ich auch die ganzen Kreditkarten und Bankkarten, Ano-Sticks und so weiter besorge. 300 EUR gehören Cem, weil ihr das nicht 50:50 machen könnt, er war halt abheben und du hast ja erstmal nur zugesehen, deshalb bekommst du jetzt 100 EUR.“ Auch, wenn es ihm in dem Moment nichts ausgemacht hatte, merkte er schnell, dass er immer nur einen sehr kleinen Anteil erhielt. Auch wenn ich ihm mehr geben wollte, mein Bruder wollte immer wieder aufs Neue eine Erklärung von mir haben, warum zur Hölle wir mit ihm teilen sollten, weil er im Endeffekt nur Mitwisser war, aber nie selbst zur Tat schritt. Zugegeben, auch ich hatte meine Zweifel mit Adnan. Ich musste mir selbst eingestehen, dass ich ihm wohl nur von dem Ganzen erzählt hatte, weil ich den Drang gehabt hatte, jemandem beweisen und zeigen zu müssen, dass ich nicht so einer war, wie alle von mir dachten. Ich wollte wohl, dass Adnan denkt, ich sei ein „Bad Boy“, sei stark und würde mich nicht unterkriegen lassen, wäre ein Rebell des Systems … und ich wollte, dass jemand zu mir hinaufschaut. Adnan tat diesem Wunsch Genüge, in seinen Augen war ich der „King“ und jetzt brauchte ich ihn nicht mehr, ich hatte bekommen, was ich wollte. Aber wenn es etwas gab, was ich nicht konnte, dann war das schlechte Nachrichten zu überbringen, oder Konflikte auszutragen… ich war immer so unentschlossen. Die Zeit nahm mir dieses Mal jedoch die Entscheidung ab.

„Verpiss Dich halt in die Türkei, Du A********!“

Ich war stinksauer auf meinen Bruder. Die Art und Weise, wie er mit mir umging, wie er sich in der Gesellschaft benahm, und wie er von sich dachte, er „wär’s“, reichten mir. „Ich verpiss mich auch dahin, ich mach 3 Monate Urlaub“. Wir saßen in der Shisha-Bar, er drückte mal wieder 100 EUR in Bar der Kellnerin in die Hand und meinte großzügig, sie könne den Rest behalten. „Was? Oh nein, bitte, das ist doch zu viel. Die Rechnung ist nur 29,80 EUR hoch. Gib mir einfach 35 EUR“. Während die Kellnerin das sagte, steckte sie die 100 EUR in ihren Geldbeutel und machte keinerlei Anstalten, meinem Bruder das Rückgeld in Höhe von 65 EUR zu geben. „Ach was, nein, passt schon.“ Mein Bruder prahlte mit dem Geld, wo und wie er nur konnte. Die Kellnerin bedankte sich extrem theatralisch bei ihm, was in mir einen Funken Neid erweckte. Mein Bruder stand auf und ging auf die Toilette. Der Rest der Truppe nahm den letzten Schluck zu sich und zog die Jacken an. Mein Bruder hatte entschieden, dass wir gehen. „Sag mal Emre, woher hat dein Bruder eigentlich das ganze Geld?“, fragte mich ein Freund, mit dem ich eher selten etwas zu tun hatte. Adnan war auch dabei und lief schon rot an, er war schlecht im Lügen, ich aber war in diesem Moment seltsamerweise ein Meister darin. „Weißt Du, was Affiliate-Marketing ist? Wir machen einfach Werbung für gewisse Firmen und SEO. Bekommen da Provision für jeden Kunden. Musst Dir vorstellen wie bei Handyverträgen. Grad läuft es halt gut bei seiner Webseite.“ Glücklicherweise wollte unser Freund den Webseiten-Namen nicht erfahren. Er wusste aber nicht, dass ich der Kopf dieser Bande war, dass ich das Gehirn war und mein Bruder nur ein Läufer. Es entwickelte sich so langsam ein Hass in mir ihm gegenüber, es schien so, als würde er zum König aufsteigen und ich musste ihm von unten aus dabei zusehen.

Das wollte ich nicht.

Ich musste meinen Bruder irgendwie loswerden, er sollte sehen, wie es ist, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren, wie es ist, wenn ich nicht da bin, wenn er niemanden mehr hatte, der ihm Geld gab. Doch das konnte ich nicht so einfach tun, ich konnte nicht sagen: „Du bist ab sofort raus!“. Er würde sofort zu meinen Eltern rennen und alles petzen, dann wäre ich auch raus. Ich musste jemand anderes die Schuld in die Schuhe schieben, einen plausiblen Grund finden, weshalb mein Bruder nicht mehr dabei sein konnte. Also streute ich Konflikte zwischen Adnan und meinem Bruder. Ich erzählte Adnan, dass mein Bruder widerliche Charaktereigenschaften besaß und ihn nicht wollte, dass er ihn nur als Schnorrer sah, als einen dummen dicken Jungen. Meinem Bruder wiederum erzählte ich, dass Adnan ihn hasste und nicht verstünde, weshalb ich die ganze Arbeit machte und er, mein Bruder, nur für das simple Abheben so viel Geld bekam. Es dauerte keinen Monat, da hatte ich mein Ziel erreicht: Adnan und mein Bruder hassten sich.

„Die Bankkarte wurde gesperrt, es ist vorbei. Wir machen nicht mehr weiter.“

Das waren meine letzten Worte an meinen Bruder, bevor er seine Koffer packte und in die Türkei flog. Meine Eltern meinten, dass er gerade eine schwierige Phase durchmachte, er hatte schulisch dieses Jahr nichts erreicht und sollte erst einmal zu Verwandten in die Türkei, sich selbst finden in den nächsten drei Monaten.

Ich war glücklich, besser hätte es nicht laufen können. Mein Bruder dachte, dass ich keine Lust mehr hatte etwas zu reißen, weil ständig Konflikte zwischen Adnan und ihm auftauchten und ich mich nicht für einen von beiden entscheiden konnte. Zum anderen war die Bankkarte wirklich gesperrt worden und er hatte den Beweis dafür gesehen. Ich konnte wieder bei Null anfangen, ohne meinen Bruder, diesmal mit Adnan. „Das erste, was wir tun werden: uns eine neue Bankkarte besorgen!“

Adnan schien auch froh über die Umstände zu sein, bisher hatte er nicht viel Geld gesehen – Doch nun schien es so, als würde er bald darin baden können. „Wir machen 50:50“, teilte ich ihm mit. Es war August, fast ein halbes Jahr vor meiner Verhaftung, meine ganze Familie war im Urlaub in der Türkei, nur mein Vater und ich waren daheim. Ich ging einer Ferienbeschäftigung nach, irgendwie musste ich meinen Eltern ja erklären, wo der ganze Luxuskram herkam. Adnan hatte ganz normal Ferien und bewarb sich für einige Schulen. Nachdem ich ein paar tausend Euro in den Sand gesetzt hatte, weil Betrüger mich beim Kauf von Bankkonten betrogen hatten, hatte ich endlich einen zuverlässigen Verkäufer gefunden. „Adnan, es ist endlich soweit. Der Verkäufer hat das Bankkonto versendet, morgen sollte es ankommen.“ Wir waren glücklich, endlich konnte es losgehen: „Emre, was hast du als Empfängeradresse angegeben?“. Die Frage von Adnan war nicht dumm, meine Antwort allerdings schon: „Ich hab einfach den Briefkasten meiner nebenan wohnenden Oma angegeben, hab jetzt keine Zeit, mir noch irgendwo einen leeren Briefkasten auszusuchen. Keine Sorge, da passiert nichts.“ Wir aßen im McDonalds noch zu Ende und begaben uns nach Hause. Mein Vater hatte am nächsten Tag frei, ich musste zur Arbeit, doch zu meinem Glück hatte ich Spätschicht. Das würde bedeuten, dass ich sowohl den Brief morgens abfangen konnte, bevor mein Vater am Briefkasten meiner Oma war, als auch, dass ich ausschlafen konnte.

Als ich daheim ankam, war mein Vater noch wach. Wir unterhielten uns ein wenig und gingen dann schlafen. Die Nacht verging wie im Nu, es war so still und ruhig gewesen, ich hatte einen festen Schlaf hinter mir. Und dann gab es einen sehr lauten Knall. Ich schreckte auf. Mein Vater kam aus seinem Zimmer herbeigestürmt: „Emre, was war das?“ Mein Herz raste, „Ich weiß es nicht?“. Mein Vater öffnete die Haustür und schloss sie schnell wieder. „Oh Gott, Einbrecher!“, warnte mich mein Vater. Ich stand sofort auf, ging zu ihm und wir öffneten die Tür erneut. Ich sah, wie die Tür gegenüber aufgebrochen war, es war aber niemand zu sehen. Plötzlich hörten wir einen lauten Schrei von unserer Nachbarin im oberen Stockwerk. Wir blickten durch den Türspalt, mein Vater und ich waren kurz davor, die Tür wieder zuzumachen, als plötzlich ein offensichtlich bewaffneter Polizeibeamter vor uns stand. „Was ist denn da los?“, wollte mein Vater wissen, seine Stimme zitterte und mir kam das Schaudern, der Schweiß lief mir wortwörtlich den Rücken hinunter. „Das geht Sie nichts an! Gehen Sie wieder rein!“, keifte der Polizist.

„Aber das ist meine Wohnung“, entgegnete mein Vater, während ich völlig geschockt neben ihm stand.

„Sind Sie Herr Ates?“, wollte der Beamte auf einmal wissen, wartete die Antwort jedoch nicht ab und rief ein paar Namen, es waren wohl die seiner Kollegen. Mein Vater öffnete die Tür ganz und ließ den Polizisten hinein.

„Sie sind Emre Ates?“

Ich bejahte.

„Sie sind festgenommen!“
 

T_Low_Benz

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Hey
Danke für das Super Kapitel :)
Ist da quasi wieder eine Zeitblase? Weil du weiter oben meintest, es ist ein halbes Jahr vor deiner Verhaftung und plötzlich bist du festgenommen.

Obwohl: deine eigentliche Verhaftung lief ja anders ab. Wenn es da nicht um die eigentliche Verhaftung geht dann habe ich nichts gefragt und warte brav :D

Gruß
 

Seedy

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Jetzt bin ich verwirrt.
Bist du zweimal festgenommen worden?
 

BeSure

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  • #217
@Seedy:

Dann hab ich mein Ziel erreicht ;)
Im nächsten Kapitel wirst Du aufgeklärt, hab ein wenig Geduld :P
 

Seedy

A.C.I.D

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@BeSure:

Übrigens.
Bis auch einige kleine hopser (who am i to judge :D ) liest sich das ziemlich Romanhaft.
Man merkt deutlich wie die Qualität deiner Erzählung zunimmt.

Wenn man nicht wüsste das es ein (größtenteils) wahre Geschichte ist, könnte das auch der Roman eines angehenden Autors sein.
Solltest du mal in Erwägung ziehen, dann stehst eventuell bald neben Tom Clancy ;)
 

BeSure

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  • #219
@Seedy:

Du machst mich ja voll verlegen ☺️
Danke echt!


--- [2016-12-21 12:12 CET] Automatisch zusammengeführter Beitrag ---

Kapitel 29 - Nicht aller guten Dinge sind Drei - Teil 3/4

Mein Herz raste wie verrückt, mein Gesicht lief rot an und ich spürte meine Beine nicht mehr. Ich wollte mich einfach auf den Boden werfen, weil ich mich so schwach fühlte. Mein Vater sah aus wie eine Leiche, er wusste nicht, was zur Hölle gerade los war und sah abwechselnd mich und den Polizisten, der wohl der Einsatzleiter war, an. Ein junger, muskulöser und blonder Polizist kam angelaufen und wollte, dass ich meine Hände auf den Rücken lege. Es machte „Klack“ und meine Hände spürten das erste Mal das kalte Eisen von Handschellen. Währenddessen kam eine andere Polizistin und übergab dem Einsatzleiter ein Dokument: „Herr Emre Ates, wir haben hier einen Durchsuchungsbefehl. Sie werden beschuldigt, durch illegal erworbene Kreditkarten Bahntickets gekauft…“ Ich konnte es nicht glauben, sie hatten mich tatsächlich bekommen, das war’s. Ich hatte mich immer so sicher hinter dem PC gefühlt, aber ich hatte mich geirrt. Oder vielleicht nicht?

„…und ein Kontaktformular erstellt zu haben, das die Kunden ausfüllen sollten, um die Bahntickets zu bekommen. Eines dieser Kontaktformulare wurde auf Ihre eMail-Adresse angelegt…“, fuhr der Einsatzleiter fort. Ich war vollkommen verwirrt. Was für ein Kontaktformular? Wie stellten sie meine private eMail-Adresse in Bezug mit den Bahntickets? Da stimmte irgendetwas nicht. Obwohl ich voller Aufregung war, konnte ich sehr klar denken und eins war mir bewusst: Die hatten keine handfesten Beweise, sondern nur eine doofe eMail-Adresse – aber wieso dann die Handschellen?

Ich war noch in meinem Schlafanzug, mein Gesicht ungewaschen und ich stand wie ein Verbrecher vor fast zwei Dutzend Polizeibeamten. Unsere Wohnungen waren klein, was wollten die mit so vielen Polizisten bloß durchsuchen? Als ich darüber nachdachte, ob ich irgendwelche Beweismittel daheim gelagert hatte, überkam mich schon mal eine gewisse Erleichterung, weil das nicht der Fall war. „Wir werden nun Ihr Zimmer und das Wohnzimmer durchsuchen. Wir haben hier jemanden von der Stadtverwaltung dabei, der uns bei der Durchsuchung zuschaut.“ Mein Vater sagte mir auf türkisch, dass ich Ruhe bewahren sollte. Ich war bereits extrem ruhig. „Hier wird deutsch geredet!“, brüllte der Einsatzleiter meinen Vater an. Die Beamten stürmten in die jeweiligen Zimmer, während ich im Treppenhaus stand und der junge blonde Polizist mich noch immer am Arm festhielt. Mein Vater ging mit dem Einsatzleiter in die einzelnen Zimmer, er sollte sagen, wem welcher PC und Notebook gehört, wessen Handy da auf dem Tisch und neben dem Bett lag. Während ich gut 20 Minuten im kalten Treppenhaus barfuß auf dem noch kälteren Marmor-Boden stand, dachte ich an ein Video, das ich vor geraumer Zeit gesehen hatte. Es ging darum, welche Rechte man bei einer Durchsuchung hatte, und es war mein gutes Recht zu schweigen. Also schwieg ich. „Kann ich mich wenigstens umziehen und mein Gesicht waschen?“, fragte ich den blonden Beamten. Er grinste nur: „Ach, Du kannst doch reden? Sag erstmal, was Du angestellt hast!“. Ich sah in seinen Augen Hass, ich glaube, wenn er gedurft hätte, hätte er es dort gewaltsam aus mir herausgeprügelt. Ich wurde mit Handschellen in das Wohnzimmer geführt und durfte mich endlich auf das Sofa setzen. Mein Vater saß mir gegenüber. Die Beamten waren wohl mit der Durchsuchung fertig, denn auf unserem großen Esstisch lagen eine Menge CDs, mein Handy, unser PC und sonstiger Papierkram von mir. Sogar ein elektronisches Spielzeug nahmen sie mit, weil ich ja irgendwas drauf installiert haben könnte. Die dachten wohl, ich wäre ein extremer Hacker. Während ein Mann alles protokollierte, schleppten andere die ganzen Sachen raus, womöglich ins Auto. In dem Moment war es mir nur peinlich, dass die eine Menge alter Rohlinge mit Pornofilmen mitnahmen. Die Handschellen an meinen Händen empfand ich noch immer nicht als besorgniserregend.

Andere Beamte beobachteten mich während ich dasaß, allen voran der blonde Beamte. Aber auch eine Frau, ein richtiges Mannsweib, machte mich dumm an. Ich schwieg weiterhin wie ein Grab, was den ganzen Einsatzkräften wohl ziemlich auf den Keks ging. Langsam fühlte ich mich in Gefahr, hatte wirklich Angst, dass einer von ihnen handgreiflich wird. Zumal die Frau von der Stadtverwaltung die ganze Zeit nur am Esstisch saß, sie hatte gar nicht gesehen, wie die Beamten mein Zimmer durchsuchten. Die hätten mir locker etwas unterjubeln können. Aber das würde die deutsche Polizei doch nicht tun? Sowas passiert nur in den Filmen, aber das, was ich gerade erlebte, kam mir wirklich vor wie ein schlechter Film. Meine Handgelenke taten weh und das führte dazu, dass ich sauer auf die Beamten wurde. Kein Wort würden die aus mir herausbekommen. Ein weiterer Beamte kam mit einem geschlossenen Brief von meiner Bank. „Öffne den Brief“, befahl er mir. Ich dachte erst an mein Briefgeheimnis, doch das war mir in dem Moment irgendwie doch schnuppe, mehr als rote Zahlen würde er ohnehin nicht lesen können. Sie nahmen mir die Handschellen ab und ich öffnete den Brief, ein Schaudern überkam mich in dem Moment – Der Brief vom Bankdrop-Verkäufer, er sollte doch heute ankommen? Ich schaute zur Uhr, und mein Herz fing erneut an zu rasen. Der Postbote kam immer um 9:30 Uhr bei uns an, es dauerte nur noch eine halbe Stunde, dann würde das belastende Beweismittel nebenan im Briefkasten meiner Oma landen. Jetzt bekam ich tatsächlich Angst. Mein Gehirn spielte verschiedenste Szenarien ab: was, wenn die Polizisten mir absichtlich das Bankkonto verkauft hatten? Was hatte ich falsch gemacht, wieso war da von einem Kontaktformular die Rede? „Hör zu, junger Mann. Am besten, du erzählst uns jetzt, was Du getan hast. Dann wirst Du es viel einfacher vor Gericht haben. Wir haben schon alles Nötige, um dich in den Knast zu stecken, wenn du kooperierst, ist das nur zu deinem Besten.“ Ich antwortete nicht. Er redete so lange auf mich ein, bis ich schließlich fragte: „Welche Beweismittel haben Sie denn gegen mich?“. Er war erstaunt, dass ich nach gut 10 Minuten endlich mal ein Wort von mir gab: „Habe ich Dir im Durchsuchungsbefehl vorgelesen, deine eMail-Adresse.“ Er und ich wussten ganz genau, dass das kein ausreichendes Beweismittel war, um jemanden zu verklagen, wohl aber um eine Hausdurchsuchung anzuordnen: „Jeder kann eine eMail-Adresse irgendwo angeben, wer sagt, dass ich das war? Vielleicht wurde ich mit einem Trojaner infiziert und meine eMail-Adresse wurde irgendwie abgegriffen.“ Der Einsatzleiter war sauer: „Vor wem hast Du mehr Angst? Vor uns oder deinem Vater?“. Ich sah meinen Vater an, so verzweifelt hatte ich ihn noch nie gesehen, was er wohl mit mir anstellen würde? Aber was war denn nun, würde ich in Haft kommen, oder lassen die mich hier? Immerhin hatten sie mir die Handschellen abgenommen und rein rational betrachtet hatten die ja nicht einmal einen Haftbefehl, sondern nur einen Durchsuchungsbefehl.

„Können wir uns kurz sprechen?“

Mein Vater wollte wohl Kompromissbereitschaft signalisieren. Er ging mit dem Einsatzleiter auf den Balkon, beide rauchten eine Zigarette und ich sah, wie mein Vater versuchte, etwas Väterliches zu tun und mich aus der Scheiße rauszuholen. Der blonde Polizist redete wieder auf mich ein: „Auch, wenn wir dich heute nicht mitnehmen, früher oder später landest Du sowieso im Knast.“ Der Gedanke erfreute ihn wohl. Mittlerweile war der Postbote schon da gewesen, denn ein Beamter kam mit ein paar neuen Briefen angetanzt. Diese waren allerdings alle an meinen Vater adressiert. Ich wartete aufgeregt, ob jetzt gleich ein: „Aha, was haben wir denn da im Briefkasten deiner Oma gefunden“ kommen würde. Es kam allerdings nichts … leider. Denn hätten die Beamten in dem Moment ihre Arbeit gut gemacht und diesen verdammten Brief mit der Bankkarte erwischt, dann wäre ich schon damals deswegen verurteilt worden und hätte wohl weniger Mist gebaut. Doch stattdessen kam der Einsatzleiter wieder mit meinem Vater in das Wohnzimmer hinein, wünschte mir viel Glück mit meinem Vater und dann war es plötzlich leise und leer in der Wohnung, sie alle waren einfach weg. Genauso wie meine ganzen Sachen.

Nun saß ich da mit meinem Vater. „Geh, wasch dein Gesicht, zieh dich um und mach dich für die Arbeit fertig.“ Er war immer noch in einem Schockzustand. Als ich mein Zimmer betrat, befand es sich in einem völlig verwüsteten Zustand: alles lag auf dem Boden, Tische und Stühle, sowie Schränke wurden komplett auf den Kopf gestellt. Nachdem ich mich frisch gemacht und umgezogen hatte, kam nun die wirkliche Angst zum Vorschein, die Angst vor meinem Vater. Das Gute war nur, dass ich in weniger als einer Stunde arbeiten gehen würde und mein Vater mich nicht ewig lang verhören konnte. Als ich wieder ins Wohnzimmer ging, sah ich meinen Vater am Telefon. Er sprach mit meiner Mutter, nein, er schrie sie an. Irgendwann fiel auch der Name meines Bruders: „Cem soll gefälligst eine Weile dort bleiben, die buchten den sonst auch noch ein.“ Das hatte mein Vater nicht so schlau angestellt, dieser Satz wurde später als Beweismittel bei der Verhandlung herangezogen, wir wurden zu diesem Zeitpunkt nämlich bereits abgehört. Ich ergriff die Chance und ging raus, ich musste mich mit Adnan treffen und ihn warnen.

Ich ging zu einer Telefonzelle, rief ihn an, und kurze Zeit später waren wir am Bahnhof. Als ich ihm erzählte, was passiert war, drehte er völlig durch, er bekam große Angst. „Adnan, schau mal, wo ich gerade stehe? Ich stehe vor dir und rede mit dir! Die haben einen Scheiß gegen mich, gegen uns, in der Hand! Siehst du das denn nicht? Das heißt für mich einfach, dass wir alles gut gemacht haben! Irgendwo habe ich wohl einen kleinen Fehler gemacht, ich habe keine Ahnung, was die mit diesem Kontaktformular wollten, aber wir finden das schon irgendwie raus.“ Adnan war diesmal nicht so leicht zu überreden und, um ehrlich zu sein, auch ich war etwas besorgt. Allein der Fakt, dass die Polizisten mich mitnehmen wollten, es aber am Ende nicht konnten, gab mir jedoch das Gefühl, dass ich gut war in dem, was ich tat. Wir beschlossen, für einige Zeit nichts zu machen, er hatte recht, es würde keinen Sinn machen, gleich wieder loszulegen. „Was ist mit dem Bankkonto?“ wollte Adnan noch wissen, bevor wir uns trennten. „Ich weiß es nicht, irgendwie glaube ich, dass das mit der Hausdurchsuchung zusammenhängt. Es kann kein Zufall sein, dass gerade, wenn das Bankkonto ankommen soll, die Polizisten eine Hausdurchsuchung machen.“

Ich stieg in das Auto und fuhr zur Arbeit, mein Vater hatte mich angerufen, doch ich hinterließ ihm nur eine SMS mit der Nachricht, dass ich zur Arbeit fuhr.

Als ich bei meinem Arbeitgeber ankam, wurde ich vom Werkschutz abgefangen, ich solle mitkommen. Und schon wieder war dieser blonde Beamte von heute morgen da. Jetzt ging es mir echt schlecht, die waren tatsächlich zu meinem Arbeitsplatz gekommen. Ich sollte zunächst meinen Spind zeigen. „Ich habe keinen Spind“, erwiderte ich, was sie mir einfach nicht glaubten. Doch viel weniger konnten die ganzen sich im Aufenthaltsraum befindlichen Türken nicht glauben, dass ich mit vier großen Männern, also dem Werkschutz und der Bundespolizei, vor den Spinden stand und sagte: „Das hier, das ist mein Spind.“ Ich nannte einfach irgendeinen Spind, die Wahrheit war ihnen wohl nicht gut genug. Sie brachen das Schloss auf und sahen nur eine Vesperbox und eine Kaffeetasse. „Wir können nicht alle Spinde aufknacken, das geht nicht“, meinte der eine Mann vom Werkschutz. Und sie verschwanden wieder. Der Arbeitstag verlief schrecklich, ich wurde von allen Kollegen darauf angesprochen und war den ganzen Tag vertieft in Gedanken, was mich nun erwarten würde. Doch viel mehr hatte ich damit zu kämpfen die Entscheidung zu fällen, ob ich weitermachen sollte oder nicht. Und wie immer fiel es mir unglaublich schwer, eine Wahl zu treffen.

Als ich dann abends zu hause ankam, wartete mein Vater bereits auf mich. Er packte mich sofort am Arm und meinte, dass wir jetzt rausgehen. Er hatte wohl die Befürchtung, dass die Polizei uns in der Wohnung abhören könnte. Es war seltsam, anstelle, dass mich mein Vater anschrie oder fertigmachte, redete er das erste Mal auf Augenhöhe mit mir. Wir beredeten meine Taten bis in die tiefe Nacht, mit Kaffee von der Tankstelle ausgerüstet, während mein Vater eine Kippe nach der anderen rauchte. Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, dass wir ein richtiges Gespräch von Mann zu Mann hatten, und er mich endlich auch als solchen wahrnahm, und nicht nur als den Sohn, der sowieso keine Ahnung hatte. „Papa, versprochen, ich mach das nie wieder.“ Ich hatte ein gutes Gefühl und mein Vater auch, denn er schien davon auszugehen, dass ich nicht log. Als ich ihm versprach aufzuhören und meine Lektion gelernt zu haben, war dies auch mein voller Ernst. Ich konnte Entscheidungen eben schwer fällen, diesmal hatte mein Vater mir dabei geholfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Vorerst.

Wir kamen daheim an, ich war todmüde, mein Vater auch. Wir legten uns beide schlafen. Doch dann fiel mir etwas ein. Ich schlich leise zur Tür hinaus ins Freie und ging zum Haus nebenan. Der Briefkasten war riesig, ich hätte mit meiner Faust reingreifen können. Ich schaute hinein und da war er, ein großer brauner Briefumschlag… meine Oma hatte Post bekommen, die nicht für sie bestimmt war. Ich nahm den Umschlag heraus, schlich mich wieder heim in mein Bett, versteckte den Brief darunter, zückte mein „neues“ Smartphone und begann zu tippen:

„Wir müssen uns morgen treffen, hab gute Nachrichten“.

Diese WhatsApp-Nachricht ging an Adnan.
 
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