Neue Erkenntnisse:
Die Kölner Oberstaatsanwältin, die ein Opfer von Polizeigewalt beim Christopher Street Day jahrelang als angeblichen Täter verfolgte, ist intern versetzt worden.
Das Thema wurde im Rechtsausschuss zunächst vertagt..
Drei Jahre lang hatte sie Sven verfolgt, ihn drei Mal auf die Anklagebank gesetzt, weil er angeblich Widerstand gegen Polizisten geleistet hatte.
Immer ging er straffrei aus.
Die Verfahren gegen die Polizeibeamten stellte sie dagegen ein.
Nun hat diese Kölner Oberstaatsanwältin, über viele Jahre zuständig für Fälle von Gewalt durch oder gegen Polizisten, ihren Posten geräumt.
Sie wurde innerhalb ihrer Behörden umgesetzt.
Das erfuhr der WDR aus Justiz-Kreisen.
Justizminister muss sich erklären
Die interne Versetzung erfolgte in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Sitzung des NRW-Rechtsausschusses am Mittwoch.
Dort sollte Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU) den Abgeordneten zum Verhalten der Oberstaatsanwältin im Fall von Sven Rede und Antwort stehen.
Das Thema wurde im Rechtsausschuss aus Zeitgründen vertagt.
Biesenbach betonte aber hinterher gegenüber dem WDR, man könne als Außenstehender schon den Eindruck gewinnen, der Falsche sei auf der Anklagebank gelandet.
Offiziell hat der Jobwechsel der Strafverfolgerin nichts mit ihrem Vorgehen gegen Sven zu tun.
Der Abteilungswechsel sei seit einem Jahr geplant, so ihre Behörde, und „geschäftsplanmäßig“ erfolgt, so das Ministerium auf Nachfrage.
Dem WDR liegt allerdings der Untersuchungsbericht der Generalstaatsanwaltschaft Köln zu der Arbeit der Juristin vor, den Biesenbach heute vorstellen will.
Darin heißt es, die Oberstaatsanwältin habe dienstliche Abläufe missachtet - etwa, indem sie ihren Behördenleiter nicht über die beabsichtigte Einstellung der Polizisten-Verfahren informierte. Dadurch sei es nicht zu einer Prüfung „nach dem Mehraugenprinzip“ gekommen.
Eine bemerkenswerte Feststellung, zumal der Fall Sven und die Ermittlungen gegen die Beamten, die ihn bei der Festnahme misshandelten, seit Jahren bundesweit für Schlagzeilen sorgen.
Dreimal vor Gericht
Beim Christopher-Street-Day (CSD) 2016 hatte Sven einen Streit in einem Kölner Schnellrestaurant zu schlichten versucht. Doch die eintreffenden Polizisten gingen stattdessen gegen den damals 25-jährigen vor. Sven wurde geschlagen, getreten, beleidigt und festgenommen.
Im Gewahrsam wurde ihm ohne richterlichen Beschluss Blut abgenommen.
Mitten in der Nacht wurde er nach seinen Angaben schließlich - nur in Unterwäsche gekleidet - wieder freigelassen.
Doch seine Leidensgeschichte ging noch weiter.
Die zuständige Oberstaatsanwältin klagte nicht die Polizisten, sondern ihn an und brachte ihn trotz zweier Freisprüche am Amts- und Landgericht auch noch vor das Oberlandesgericht - wo er im Februar 2020 erneut straffrei ausging.
Seit Juni klagt Sven nun beim Landgericht Köln auf Schmerzensgeld gegen das Land als Arbeitgeber der Polizisten.
Ermittlungen gegen Polizisten eingestellt
Dieselbe Oberstaatsanwältin führte auch die Ermittlungen gegen die beiden gewalttätigen Polizisten. Die Verfahren stellte sie im Februar gegen eine Geldbuße von jeweils 750 Euro ein.
Die Einstellung begründete die Oberstaatsanwältin unter anderem mit geringem öffentlichen Interesse an einem Prozess gegen die Polizisten.
Justizminister Biesenbach hatte sich laut der Recherchen allerdings regelmäßig über Svens Verfahren berichten lassen.
Deutliche Kritik
Die Kölner Generalstaatsanwaltschaft, also die vorgesetzte Behörde der Staatsanwaltschaft Köln, kritisiert sehr deutlich das Verhalten der der Oberstaatsanwältin.
Diese habe Sven und seinen Anwalt zu spät Akteneinsicht gewährt.
Trotz mehrfacher Anträge von Svens Verteidiger habe sie die Akten grundlos erst so spät verschickt, dass dieser nicht mehr rechtzeitig vor Einstellung der Verfahren eine Stellungnahme dazu abgeben konnte.
Er habe damit auf den Ausgang des Verfahrens nicht mehr einwirken können.
Er werde „das Erforderliche veranlassen“, dass so etwas nicht mehr passiere, schreibt der Generalstaatsanwalt.
So werde er den Leiter der Kölner Staatsanwaltschaft bitten sicherzustellen, „dass in bedeutsamen Angelegenheiten wie der vorliegenden" wichtige Maßnahmen erst nach seiner Kenntnis getroffen werden.
Angebot: 2000 Euro Schmerzensgeld
Vor zwei Wochen hatte die SPD bereits Innenminister Herbert Reul im Innenausschuss zu dem Verhalten der beiden Polizisten befragt – ebenso wie zu der ablehnenden Haltung des Landes in Svens Schmerzensgeldprozess.
Der Anwalt des Landes hatte eine Summe von 2000 Euro angeboten.
Sven fordert 15.000 Euro.
Weitere Ansprüche hat der Rechtsvertreter des Landes mit der Bemerkung ab, Sven habe ja „bereits Genugtuung durch die gegen ihn ergangenen Entscheidungen (…) erlangt“.
Was er meinte: Sven solle sich mit den Freisprüchen zufrieden geben.
Diese Haltung hatte Innenminister Reul im Innenausschuss immerhin korrigiert.
Er hatte nicht nur betont, dass es für homophobe Polizisten keinen Platz in der Polizei NRW gebe.
Einer der Beamten hatte Sven als „Schwuchtel“ bezeichnet. Reul hatte auch gesagt, dass er darauf hinwirken wolle, dass sich der Anwalt des Landes im Schmerzensgeldprozess „nicht zu knausrig“ zeige.
Tatsächlich hat Sven mittlerweile ein finanzielles Angebot erhalten, zögert aber noch, es anzunehmen. Er wird heute erst einmal im Rechtsauschuss zuhören.